Republikanismus

Dritter Teil
Okay, „Freiheit statt Liberalismus“ ist vielleicht eine etwas harsche Überschrift gewesen.

Es ist aber die Feststellung notwendig, dass die Liberalen die Freiheit nicht für sich gepachtet haben. Anders gesagt: Die Bedrohungen für die Freiheit erschöpfen sich nicht im Nachlassen der Strahlkraft der liberalen Doktrin – sie sind vielmehr eine substanzielle Bedrohung. Ich halte es für angemessen, ihnen einen vitalen Freiheitsbegriff entgegenzusetzen, und das ist meines Erachtens der der republikanischen Freiheit.

Die beiden vorhergehenden Texte in diesem Blog sollten zeigen, dass es nicht sinnvoll ist, sich auf den Liberalismus zu verlassen, wenn es um die Freiheit geht. Zum einen hat der Liberalismus als nationalökonomische Doktrin nichts mit Freiheit zu tun, sondern mit der Bewahrung der Dominanz der ökonomisch Mächtigen (Stichwort: „Hayek in Chile“). Das Verschleiern nicht-politischer Machtmechanismen nimmt den Liberalen auch die Sicht für die sozial-ökonomischen Ursachen für das Ohnmachtsempfinden breiter Teile der Gesellschaft, das dazu führt, dass sie autoritären bzw. illiberalen Bewegungen zuneigen. Ich habe versucht, (anhand der Beispiele von Reckwitz und Müller) deutlich zu machen, dass ich Versuche der Neuformulierung des Liberalismus für am Ende doch nur defensive Operationen halte, die auf Rückzugsgefechte hinauslaufen. Der Liberalismus muss scheitern, weil er blind für die Gründe seiner Erosion ist.

Der Liberalismus ist auch deshalb ungenügend, weil er nicht unterschiedslos alle Individuen zu einem selbstbestimmten Leben ermächtigen will. Er beschränkt sich darauf, das Für-sich-Leben zu verteidigen – das ist aber etwas, für das die Menschen unterschiedliche Ausgangspunkte haben. Dass die Schaffung von Chancengleichheit zwangsläufig die Abschaffung von Privilegien bedeuten muss, kommt den Liberalen nicht in den Sinn. So wird die „Selbstentfaltung“ als Privileg verteidigt, diese Freiheit ist nicht die des Individuums, sondern (und das ist weniger polemisch gemeint, als es klingt) die des Egoisten. Liberale betrachten den Staat grundsätzlich als Problem, wenn nicht gar als Feind (Letzteres je mehr, desto stärker sich wieder ideologische Überspitzungen im liberalen Lager durchsetzen, was mir aktuell der Fall zu sein scheint). Aber wenn man den Staat als Gemeinwesen versteht, als Republik, ist er die Voraussetzung der Freiheit – eine Voraussetzung, die die Liberalen wacker bekämpfen. Dass Freiheit staatlich bedroht werden kann, steht außer Frage, aber das liegt im Zweifel daran, dass der Staat nicht von den Freiheitsliebenden erobert worden ist. Die Liberalen empfinden staatliches Handeln grundsätzlich als „Einmischung“. Ihr Bedürfnis nach „Freiheit“ erschöpft sich darin, in Ruhe gelassen werden zu wollen – und das ist nicht der Geist, in dem man Allianzen bildet, um offensiv für die Freiheit zu kämpfen…

Meine folgenden Ausführungen sind ein subjektiver Ausdruck einer Sehnsucht nach einer republikanischen Bewegung, die für die Freiheit kämpft, was auch bedeuten muss, den Feinden der Freiheit kämpferisch entgegenzutreten. Sie umreißen eine Vorstellung von Republikanismus, die ganz bestimmt keine Wissenschaftlichkeit für sich in Anspruch nimmt. Ich sage allerdings auch, dass ich – bei aller Liebe – die Ausstrahlung des politikwissenschaftlichen Diskurses über Republikanismus für arg begrenzt halte. Dass es der Lektüre von Cicero, Machiavelli oder Philip Pettit bedarf, steht außer Zweifel, aber im Folgenden befasse ich mich nicht mit Exegese.

Der Vorstellung, dass Freiheit eine rein individuelle bzw. individualistische Veranstaltung ist, kann die Behauptung entgegengesetzt werden, dass der Mensch als soziales Wesen, Freiheit im Gemeinwesen verwirklichen muss. Abgesehen von Robinson Crusoe und ähnlichen bedauerlichen Einzelfällen müssen wir also Freiheit immer auch als Freiheit unserer Mitmenschen denken. Jedes Gemeinwesen hat Regeln und Institutionen – diese müssen so gestaltet werden, dass sie der Freiheit dienen statt sie zu beschränken. Das ist der Inhalt freiheitlicher Politik, nicht die Schleifung der Institutionen, denn diese würde der Willkür Einzelner oder von gesellschaftlichen Teilgruppen den Weg bahnen, die dann andere Menschen dominieren, Privilegien und Ungleichheit schaffen.

Freiheit kann nur im Gemeinwesen und durch das Gemeinwesen erkämpft und verteidigt werden. Zur persönlichen Freiheit gehört immer auch die Möglichkeit politischer Teilhabe und die Möglichkeit, das Gemeinwesen mitzugestalten. Diese Möglichkeit muss dazu dienen, die Dominanz der Mächtigen, die immer eine Einschränkung der Freiheit ist, abzuwehren. Deshalb muss diese Möglichkeit gestärkt werden, um die Freiheit zu erkämpfen und zu verteidigen (es erschließt sich daraus leicht, dass deshalb eine Verfassung der Freiheit demokratisch sein muss). Es mag sein, dass es für einzelne eine Freiheit gibt, die abgehoben vom Gemeinwesen existieren kann, für die Mehrheit der Menschen gilt das nicht, und deshalb muss, wer die Freiheit als universellen Wert achtet, diese immer im Rahmen des Gemeinwesens denken.

Die Gefährdungen der Freiheit gehen immer von den Mächtigen aus. Dass die Mächtigen auch in Form von Massen daherkommen können, ist eine Erkenntnis, die wir dem Liberalismus gerne zubilligen, das ändert aber nichts daran, dass jede Form von Vormachtstellung – auch sozialer und ökonomischer Natur – der Freiheit entgegengesetzt ist. Republikaner*innen erkennen derartige Privilegien nicht an und beschränken sich nicht darauf, Machtmissbrauch in Einzelfällen zu denken. Freiheit ist in dieser Perspektive nicht nur eine „eigene“ individuelle Freiheit von Beeinträchtigungen, sondern immer auch die Freiheit der anderen. Freiheit kann verteidigt werden, weil sie das Recht aller ist und als solche auch die Angelegenheit aller. Darin liegt das Potenzial, die Mehrheit für die Verteidigung der Freiheit zu mobilisieren, weil es die Freiheit des Gemeinwesens ist, um die es geht, an der wir alle Anteil haben müssen.

Man kann das Grundprinzip vielleicht folgendermaßen zusammenfassen (und so oder so ähnlich ist das schon vielfach formuliert worden): Dem Gemeinwohl dienen, um nicht den Mächtigen gehorchen zu müssen.

Republikaner*innen betrachten einen „starken Staat“ nicht als Bedrohung der Freiheit, sondern als deren Schutz, wenn er gleichbedeutend mit der Herrschaft der Gesetze (anstelle der Herrschaft der Mächtigen) ist. Selbstverständlich müssen die Gesetze alle Lebensbereiche erfassen, in denen sich Machtverhältnisse ausbilden können. In dieser Hinsicht können Bereiche, die Liberale gerne als politikfrei verstehen würden – z. B. Familie (mögliche Dominanz des Mannes über die Frau), Betrieb (mögliche Dominanz des Arbeitgebers über die Arbeitnehmer*innen) oder Markt (mögliche Dominanz der Großunternehmen über kleine Unternehmen und Verbraucher*innen) – von der Herrschaft des Gesetzes und mithin von staatlichem Handeln nicht ausgenommen werden.

Der starke Staat ist als demokratisches Gemeinwesen ein Bollwerk gegen Willkür in verschiedenen Lebensbereichen. Als demokratisches Gemeinwesen bietet er auch die Möglichkeit der Teilhabe. Als Individuum habe ich den Anspruch auf Mitgestaltung und auf die Einmischung in die eigenen Angelegenheiten. Als souveräner Teil des demokratischen Souveräns ist das Individuum frei. Aktiv Anteil an der res publica zu haben, ist eine notwendige Facette der Freiheit.

Die Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ist die der Republik gemäße Devise, wenn man im Sinne der Gleichheit aus der „Brüderlichkeit“ die Solidarität macht. Denn Freiheit ist das Ziel. Freiheit ist nur als Freiheit von Gleichen möglich, denn die Ungleichheit ist der Weg zur Vormacht und die Vormacht der Mächtigen beeinträchtigt die Freiheit. Und um Freiheit zu erkämpfen und die Gleichheit zu bewahren, bedarf es der Solidarität der Freien und Gleichen.

Dieses Freiheitsverständnis fordert den Menschen als Staatsbürgerin oder Staatsbürger. Freiheit spielt sich demnach nicht in einem gegenüber öffentlichen Einfluss abgeschirmten Privatsektor oder Elfenbeinturm ab. Man kann das als Zumutung empfinden, aber diese Zumutung ist notwendig, um echte Freiheit zu ermöglichen. Die Erkenntnis, dass die Freiheit der Gleichheit und der Solidarität bedarf, begründet eine aktive Haltung, die man vielleicht etwas altmodisch als „Bürgersinn“ bezeichnen kann. Vor allem aber lässt sich dieses Bewusstsein aktualisieren, indem man erkennt, wie Diskriminierungen die Freiheit bedrohen. Republikaner*innen werden sich deshalb immer aus dem alten republikanischen Prinzip heraus gegen rassistische und sexistische Diskriminierungen positionieren. Angesichts der offensichtlichen engen Verknüpfung der zeitgenössischen Bedrohungen für die Freiheit mit Rassismus und Sexismus ist die Aktualität dieser kämpferischen Haltung deutlich erkennbar. In der aktuellen Pandemie-Situation haben die Freiheitsfeinde für sich die Forderung nach Verweigerung der Solidarität entdeckt. Republikaner*innen müssen sich auch gegen diesen im höchsten Maße antirepublikanischen Spuk wenden.

Wenn Freiheit aber mehr ist, als vom Staat in Ruhe gelassen zu werden, ja, wenn die demokratische Mitgestaltung im und am Staate die eigentliche Sicherung der Freiheit ist, stellen sich Fragen zum Verhältnis zwischen Staat und Individuum. Ich finde, dass man diskutieren muss, welche Zumutungen des Staates vertretbar sind. Aus dem hier bisher Gesagten könnte man beispielsweise eine Verpflichtung der Staatsbürgerin bzw. des Staatsbürgers herleiten, das Gemeinwesen zu verteidigen – eine Wehrpflicht wäre so begründbar. Es könnten auch andere Tätigkeiten für das Gemeinwohl im Rahmen einer Dienstpflicht aus dem republikanischen Denken heraus begründet werden. Und noch ein vielleicht gar nicht so kleines Beispiel: Individualität muss im Geiste der Freiheit geachtet werden, aber in öffentlichen Institutionen kann es angemessen sein, die Gleichheit besonders zu betonen. Ist es emanzipatorischer, wenn Schüler*innen aus reichen Familien sich gegenüber den ärmeren Mitschüler*innen durch das Tragen teurer Markenklamotten hervortun können oder wenn sie in der Schule durch Schuluniformen daran erinnert werden, dass sie mehr Gemeinsames als Trennendes haben sollten, solange sie sich in einer Institution der Republik befinden? Niemand hält die Reichen nach Schulschluss davon ab, sich wieder in die teure Kleidung zu werfen, aber sind sie (von den Ärmeren reden wir da schon gar nicht mehr) „freier“, wenn wir auf Instanzen verzichten, die Gemeinsinn vermitteln? Anders als die Freiheit sollte die Ungleichheit eine Privatangelegenheit bleiben.

Ich fordere an dieser Stelle nichts von dem, was ich hier angedeutet habe, konkret ein. Ich erwähne dergleichen lediglich, um deutlich zu machen, dass der Versuch, republikanisches Denken wieder in den Diskurs einzuspeisen, etwas unbequemer als unverbindliche Engagement-Poesie sein könnte. Außer mit dem Widerspruch der Liberalen ist auch mit dem vieler Linker zu rechnen (wobei zumindest historisch gesehen beispielsweise die Wehrpflicht auch als linke Forderung gesehen werden kann). Die Diskussion könnte sich aber vielleicht lohnen.

Dabei halte ich es für wichtig, dass der Republikanismus ein parteiübergreifendes Prinzip ist. Es geht also nicht um eine Erweiterung des politischen „Farbspektrums“, sondern um eine republikanische Bewegung in vielen Farben. Republikaner*innen können links, konservativ, grün und vielleicht sogar (doch?) liberal innerhalb und außerhalb der Parteien sein (und die Parteien könnten jeweils so etwas wie ihren „republikanischen Flügel“ haben). Ich frage mich, ob es möglich ist, Republikaner*innen verschiedener Couleur zusammenzubringen, damit sie gemeinsame Grundsätze formulieren.

Fortsetzung: Zugehörigkeit

Ein Gedanke zu „Republikanismus“

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