Debatten über Parteiverbote müssen wohl immer leidenschaftlich geführt werden. Sie erfolgen vor dem Hintergrund drohender Gefahr und es kann nur um die Alternative „Ja“ oder „Nein“ gehen.
Diese Umstände bedingen, dass von jeder Äußerung zum Thema erwartet wird, dass sie ein Bekenntnis darstellt. Hier kann es nicht um Zwischentöne gehen. Bestenfalls „Skepsis“ ist möglich. Wir haben das anhand der Diskussionen über zwei NPD-Verbotsverfahren erlebt. Die Skepsis bezog sich vor allem auf die Möglichkeit, dass die Sache schiefgehen könnte. Und auch wenn sich diese Befürchtung beim ersten Mal als berechtigt erwies, wurde die Skepsis auch anschließend noch von vielen als eine Art Haltungsschaden dargestellt. Für viele war es darüber hinaus völlig undenkbar, andere Argumente als die zu den Erfolgsaussichten gelten zu lassen – beispielsweise solche, die darauf abhoben, dass Parteienverbote auch eine Form des Scheiterns der demokratischen Auseinandersetzung mit antidemokratischen Tendenzen sein könnten.
Bin ich für ein AfD-Verbot? Ich würde ja gerne, wenn es gestattet wäre, dafür um Verständnis werben, dass die Beantwortung dieser Frage schwierig ist. Technisch gesehen müsste die Frage lauten, ob ich dafür bin, ein Verbotsverfahren einzuleiten. Dann könnte ich mich darauf beschränken, die Erfolgsaussichten zu bewerten. Daran würde sich das Argument anschließen, dass das Scheitern eines solchen Verfahrens einen riesigen Triumph der AfD darstellen würde, was man auf keinen Fall riskieren dürfe. Mein Problem: Ich kann die Aussichten eines Verbotsverfahrens gar nicht einschätzen.
Ich habe den Eindruck, dass die überwältigende Mehrheit der Verbotsverfahrensbefürworter*innen das auch nicht kann, weil die Erfolgsaussicht keine politische, sondern eine juristische Frage ist. Das Blöde ist, dass ich die Frage, ob ich für oder gegen ein AfD-Verbot bin, so beantworten muss, dass ich dafür bin, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, und dagegen, wenn sie es nicht sind. Denn „technisch“ gesehen geht es darum, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit (nicht: „-feindlichkeit“!) FESTSTELLT, und das kann es nur anhand von Beweisen tun. Wer formal ein Verbotsverfahren betreibt, sollte also eine Sammlung hieb- und stichfester Beweise vorlegen. Ich persönlich kann das nicht und das können die meisten, die meinen, dass die AfD verboten gehöre, sicher auch nicht. Es reicht nämlich bei weitem nicht, jede Alice-Weidel-Rede vorzulegen, bei der demokratischen Hörer*innen zurecht der Kaffee hochgekommen ist.
Die beiden NPD-Verbotsverfahren sind aus unterschiedlichen Gründen gescheitert. Grob zusammengefasst: Das erste Mal, weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Beweisgründe für ein Verbot auf V-Leute und damit praktisch auf staatlichen Einfluss zurückzuführen waren, das andere Mal, weil die NPD mittlerweile zu bedeutungslos geworden war, um eine Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung darzustellen.
Die Antragsteller*innen haben jetzt, was den zweiten Aspekt angeht, einen Punkt: Eine Partei, die teilweise bei Landtagswahlen bis zu einem Drittel der Stimmen erlangt, dürfte eine größere Bedrohung darstellen als eine Partei, die mittlerweile wieder aus allen Landtagen geflogen ist und bei der letzten Bundestagswahl 0,1 Prozent erzielt hat. Das relativiert sich allerdings durch den Umstand, dass es hier lediglich um den „an sich unbedeutende(n) Landstrich mit wenigen Menschen im Herzen Europas, dessen Bewohner*innen gern so tun, als wären sie der Mittelpunkt der Welt und ihre Erfahrungen wären einzigartig“, wie Ilko-Sascha Kowalczuk ihn bissig beschreibt (Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute, München 2024, S. 210), geht. Nun meint Kowalzcuk zwar auch, dass Ostdeutschland als eine Art „Labor der Globalisierung“ Entwicklung vorwegnehme, die später auch im Westen ankommen werden (siehe ebd.; vgl. auch Ders., Die Übernahme, München 2019, insbes. S. 274-285), aber eine solche Prognose dürfte für die juristische Bewertung in einem Verbotsverfahren unerheblich sein.
Bei dem erstgenannten Hindernis für ein Verbot, dem Problem der Staatsfreiheit, müsste man noch sehen, ob es sich die Antragssteller*innen nicht zu leicht machen. Ich zitiere den Antrag: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung und die Landesregierungen auf, durch ihre Verfassungsschutzbehörden unverzüglich auf die Herstellung der vom Bundesverfassungsgericht für Parteiverbotsverfahren formulierten Anforderung strikter Staatsfreiheit hinzuwirken und dem Deutschen Bundestag den Zustand der strikten Staatsfreiheit nach dessen Eintritt zu versichern. Unabhängig von einer solchen ausdrücklichen Versicherung, geht der Deutsche Bundestag mit Ablauf von zwei Monaten nach seiner Beschlussfassung von einer erfolgreichen Herstellung des Zustands der strikten Staatsfreiheit aus.“
Ich weiß nicht, ob das so funktioniert, zumal die Staatsfreiheit möglicherweise bereits zum Zeitpunkt der Beschlussfassung gegeben sein sollte, was die Antragssteller*innen selbst logischerweise gar nicht sicherstellen können (diese Voraussetzung schaffen könnten Bundesregierung und die im Bundesrat vertretenen Länder, in diesem Fall geht es aber nicht um einen Verbotsantrag der Bundesregierung und/oder des Bundesrates). Aber das ist wieder eine juristische Frage, die eben nur juristisch und nicht mit Online-Petitionen zu lösen wäre.
Es ist vertrackt, und was ich mir insbesondere wünsche, ist, dass diese Vertracktheit anerkannt wird. Unsere Debatten über den Umgang mit faschistischen Gruppen leiden aber zuweilen an dem Bestreben mancher Teilnehmer*innen, als die „besseren“ Antifaschist*innen zu erscheinen. Deshalb nochmal zur Klarstellung: Das Verschwinden der AfD wäre selbstverständlich wünschenswert, aber wenn der Verbotsversuch scheitert, worüber reden wir dann?
Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass die Abgeordneten sich ihrer Sache nicht ganz sicher sind, denn sie verwenden den semantischen Trick, davon zu sprechen, die Verfassungswidrigkeit der AfD zu „prüfen“. Aber man erteilt dem Bundesverfassungsgericht keine Prüfaufträge. Ich zitiere den Antrag, wie er auf der Homepage der Initiative „AfD prüfen“ zu finden ist: „Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag beantragt beim Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 21 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4 des Grundgesetzes i. V. m. § 13 Nummer 2, §§ 43 ff. des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes folgende Entscheidung: 1. gemäß Art. 21 Abs. 2 GG festzustellen, dass die Partei „Alternative für Deutschland“ verfassungswidrig ist (…)“ usw. Ja, genau: Das Bundesverfassungsgericht soll die Verfassungswidrigkeit der AfD feststellen, was gleichbedeutend mit deren Verbot wäre. Es kann nämlich keine ergebnisoffene Prüfung beantragt werden, sondern nur die Feststellung, also das Verbot.
Die Begründung des Antrags – und hier ist es natürlich wichtig, dass dies erst die Begründung des Antrags gegenüber dem Bundestag und noch nicht die Begründung gegenüber dem Bundesverfassungsgericht ist – beinhaltet diverse Zitate und andere Hinweise. Die Frage ist allerdings, ob mit anekdotischer Evidenz mehr bewiesen werden kann als der Umstand, dass es Verfassungsfeind*innen in der AfD gibt (was unbestritten ist). Ich bin etwas beunruhigt, wenn Befürworter*innen bzw. Betreiber*innen das Verbotsansinnen damit begründen, dass die AfD verfassungsfeindlich sei bzw. rassistisch, antisemitisch, islamfeindlich und ähnlich Widerliches mehr. Das sind alles Gründe, die AfD entschieden zu bekämpfen, aber eben noch kein Beweis, dass die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Ordnung Grundordnung das eigentliche Ziel der AfD ist. Eigentlich könnte man meinen, dass so ein Nachweis bei der NPD hätte einfacher sein müssen, denn die hat ihren Anfang ja nicht als Professorenpartei, die in erster Linie die Euro-Rettung abgelehnt hat, genommen.
In meiner Erinnerung wurde in der Diskussion über die NPD-Verbotsverfahren auf der einen Seite immer wieder die Notwendigkeit und Dringlichkeit des Verbots betont. Mittlerweile dürfte kaum noch jemand in der „Heimat“, wie die NPD jetzt heißt, eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung sehen. Immerhin ist sie aber auch von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen – diese Möglichkeit wurde nach dem Scheitern der Verbotsverfahren geschaffen und diese Option sehen die Antragssteller*innen auch als eine „hilfsweise“ gangbare Alternative an. Vielleicht ist diese mildere Variante aussichtsreicher als ein Verbot. Bemerkenswert finde ich, dass was gestern noch als große Bedrohung angesehen wurde, jetzt in der Bedeutungslosigkeit angekommen ist. Das ist sicher auch auf den Erfolg der AfD zurückzuführen. Und so wie die Alternative für Deutschland die NPD überflüssig gemacht hat, könnte später auch mal eine Alternative zur Alternative als parteipolitisches Angebot für die extreme Recht werden. Das eigentliche Problem lässt sich also nicht wegverbieten.
Wäre ich Bundestagsabgeordneter, würde ich den Antrag nicht mittragen, weil meine Bedenken zu groß wären. Das mögen manche für zu zaghaft halten, ich aber kann die Zweifler*innen im Bundestag sehr gut verstehen. Alle wissen, dass ein Parteiverbot nur die ultima ratio, das letzte Mittel, sein kann. Aus dem Lager der Verbotsbetreiber*innen habe ich noch nicht gehört, was denn zu tun wäre, wenn das höchste Gericht feststellt, dass die ultima ratio hier nicht greift.