Die (Ohn)Macht der Worte

„Ein Wort hat die Kraft, alles zu verändern.
Entscheidend ist, wer es einem gibt.“

Diesen Nonsens konnte man im Wahlwerbespot von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Bundestagwahl 2025 hören, und ich würde sagen, bei der Aufarbeitung des schlechten Ergebnisses sollte diese Rhetorik nicht aus dem Blick geraten.

Die Behauptung, dass ein Wort die Kraft habe, alles zu verändern, wirft ja schon einige Fragen auf: Wie macht das Wort das wohl? Welches Wort ist eigentlich gemeint? Und warum wird uns nicht verraten, um welches Wort es sich handelt?

„Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.“

(Novalis)

Aber wahrscheinlich ist auch nicht EIN Wort, das die Kraft hat, alles zu verändern (im Spot fliegen die Wörter „Freiheit“, „Klima“, „Sicherheit“, „Investitionen“ „Zusammenhalt“ und „Zuversicht“ durchs Bild. Wer kennt das nicht? Man ruft „Investitionen“ und plötzlich ist alles anders…). Vielleicht geht es ja mehr um die Eigenschaft des Wortes als Wort, gewissermaßen in der Unterscheidung von Taten, Gedanken oder Tatsachen. So genau weiß man das nicht.

Aber dann ist das ja auch wieder nicht so wichtig, denn wenn entscheidend ist, wer es einem gibt, ist ja eigentlich kein Wort gemeint, sondern „Wort“ steht für ein Versprechen. Aber welches Versprechen die Kraft habe, alles zu ändern, weiß die/der Wähler*in leider auch nicht…

Es wird nicht besser, wenn man länger darüber nachdenkt. Die Werbefuzzis haben übersehen, dass mit der Macht der Worte eigentlich mal die Macht der klaren Rede gemeint war. Dass das mit einem Spitzenkandidaten passiert ist, der sich über Sprache in der Politik schon seine Gedanken gemacht hat (Wer wir sein könnten. Warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht, Köln 2018), ist besonders misslich.

Warum sollte ein Wahlwerbespot nicht mal einen klaren Gedanken transportieren statt Wortgeklingel? Es gibt ein Gewese um Worte, dass diese sich schon mal verselbständigen und in die Bedeutungslosigkeit galoppieren lässt. Da mögen alle Parteien ihre eigenen Worte haben, z. B. die Liberalen die „Leistung“ und die Linken die „Solidarität“ usw.

Ein Wort, das bei den GRÜNEN zum Quatschwort mutiert ist, ist „Bündnispartei“. Aus dem Umstand, dass die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heißt, wird geschlossen, dass es geradezu ihr Wesenszug sei, „Bündnispartei“ zu sein. Leider hat das zu einer gewissen Beliebigkeit geführt: Aus dem an sich trivialen Umstand, dass man Bündnisse schmieden muss, um politische Veränderungen durchzusetzen, wurde eine Forderung entwickelt, offen für Bündnisse mit allen möglichen Gruppen zu sein. Ich denke aber, dass die zurückliegende Legislaturperiode auch deutlich gezeigt haben sollte, dass viele Gruppen gar kein Bündnis mit uns wollen. Da hat leider niemand das Wort gefunden, dass die Kraft hatte, das zu ändern!

Unsere Partei heißt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, weil sie in ihrer heutigen Form aus der Vereinigung des ostdeutschen Bündnis 90 und der westdeutschen GRÜNEN hervorgegangen ist. Das Bündnis 90 entstand als Zusammenschluss der Oppositionsgruppen Neues Forum, Demokratie Jetzt und Initiative für Frieden und Menschenrechte zur gemeinsamen Kandidatur zur ersten DDR-Volkskammerwahl 1990. 1991 erfolgte ihre formale Gründung als Partei. Als sie sich 1993 vereinigten, formulierten Bündnis 90 und DIE GRÜNEN einen Grundkonsens, in dem sie auch Bündnisse thematisierten (S. 38):
„Unser gemeinsames Wirken nach außen vollzieht sich in breiten Bündnissen mit Bürgerinitiativen, sozialen Bewegungen, den daraus hervorgegangenen Verbänden, Stiftungen und ExpertInnen, die sich gleichen Grundwerten verpflichtet fühlen.“

Da steht ganz offensichtlich nicht, dass man Bündnisse mit allen und jedem eingehen will! Und der Verdacht liegt nahe, dass diejenigen, die auf dem „Bündnispartei“-Begriff am meisten rumreiten, monieren würden, dass man so ja nur die Leute anspricht, die sich bereits in der gemeinsamen Blase befinden. Je nun, was will man machen? Vielleicht mal realistisch einschätzen, wie viele Menschen dieselben Veränderungen wollen wie wir und dann überlegen, wie man die anderen erstmal davon überzeugt?

Es bedarf der strategischen Erkenntnis, dass die Möglichkeit, Bündnisse zu schmieden, auch ihre Grenzen hat. Andererseits sind Bündnisse auch keine exklusive Erfindung der Bündnisgrünen. Die Bündnisse derjenigen, die was ganz anderes wollen als wir, existieren nämlich auch und sie funktionieren.

Allein aus dem Namensbestandteil BÜNDNIS 90 den Charakter als Bündnispartei abzuleiten, halte ich für ahistorisch (hat in dem Zusammenhang mal jemand gefragt, was die „90“ bedeutet?). Zumal schon die westdeutschen GRÜNEN ihre Ursprünge bekanntlich in verschiedenen sozialen Bewegungen hatten (und dass das spannungsreiche Verhältnisse mit sich brachte, ist auch bekannt). Das Selbstverständnis des Bündnis 90 und seine Willenserklärung von 1991 macht sogar deutlich, dass man sich mehr als Bürgerbewegung denn als Partei verstanden hat. Und eine Programmpartei war Bündnis 90 offensichtlich auch nicht, geschweige denn eine, die erwogen haben könnte, Kanzlerkandidaten zu nominieren.

Leider meint ja jeder Depp, dass nur die GRÜNEN sich auf ihre „Wurzeln“ verpflichten zu müssen statt sich zu einer relevanten Partei weiterzuentwickeln. Und so müssen wir ostdeutschen Bündnisgrünen zugeben, dass wir dieses Bündnis 90 nicht mehr sind. Ja, auf die notwendige Etappe in unserer Geschichte erfolgte die notwendige Weiterentwicklung. Die „Wurzeln“ sind auch so ein Wort, dass sich im Bezug auf die GRÜNEN verselbständigt hat, vielleicht wegen botanischer Assoziationen. Aber wenn man mal genauer auf die Wurzeln guckt, glauben sie es mir, kann man zwar viel lernen, aber es wird auch deutlich, dass es besser war, sich programmatisch weiterzuentwickeln, um mit der Wirklichkeit Schritt zu halten.

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