Aus dem Archiv: Anmerkungen zu H.

Den folgenden Text habe ich Anfang 2017 auf meinem alten Blog veröffentlicht. Es geht um B. Höcke von der AfD (anlässlich seiner „Dresdner Rede“), über dessen Gesinnung ältere Erkenntnisse und neuere Feststellungen (z. B. hier und hier) vorliegen. Im Wahljahr 2019 bleibt die Auseinandersetzung damit natürlich aktuell, weshalb ich diesen Beitrag hier noch einmal veröffentliche.

Was der AfD ja hervorragend gelingt, ist die Erlangung von Aufmerksamkeit. Dass sie „totgeschwiegen“ werde, glauben nur noch die völlig Bekloppten. Nein, vielmehr springen Medien und Politik zielsicher auf jede AfD-Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Und das ist das Problem: Über echte Probleme wird nicht mehr diskutiert, weil die AfD die Themen vorgeben darf.
Dass die strukturellen Probleme, vor denen unser Land steht, auf Flüchtlinge zurückzuführen seien, ist eine absurde Vorstellung, aber alle tun so, als sei genau das der Fall. Also reden wir über eine angebliche „Flüchtlingskrise“ statt über die realen Krisen, in denen wir stecken. Und wir reden über die Rede des Björn Höcke, die er am 17. Januar 2017 in Dresden vor einem Haufen Gesinnungsgenossen gehalten hat.

Höcke hat die Aufgeregtheit erlangt, die er gewollt hat. Erwartungsgemäß haben Politiker Strafanzeigen gegen ihn gestellt, die kaum erfolgreich sein dürften. Dass er geschickt genug ist, die Grenze zur Straffälligkeit nicht zu überschreiten, überrascht ebenso wenig wie sein nachgeschobenes Statement, dass er falsch verstanden worden sei.

Wir wissen jetzt – Empörung hin oder her – dass Höcke rechtsextreme Denkmuster bedient. Die geschichtspolitischen Passagen des Vortrags entsprechen ziemlich genau den Thesen, die die NPD bislang vertreten hat [siehe unten: Anm. 1]. Dazu gehört das Bestätigen der Geschichtslügen, die das lokale Publikum gerne hört: Das Märchen von der militärischen Bedeutungslosigkeit Dresdens zum Zeitpunkt seiner Bombardierung und der Vergleich mit Hiroshima und Nagasaki. Auch die folgende Passage ist eindeutiger NPD-Sprech:
„Mit der Bombardierung Dresdens und der anderen deutschen Städte wollte man nichts anderes als uns unsere kollektive Identität rauben. Man wollte uns mit Stumpf und Stiel vernichten, man wollte unsere Wurzeln roden. Und zusammen mit der dann nach 1945 begonnenen systematischen Umerziehung hat man das auch fast geschafft. Deutsche Opfer gab es nicht mehr, sondern es gab nur noch deutsche Täter. Bis heute sind wir nicht in der Lage, unsere eigenen Opfer zu betrauern.“

Das ist selbstverständlich alles Quatsch. Bekanntlich wurde und wird nichts so intensiv betrauert wie die Bombardierung Dresdens. Und hätten die Alliierten „uns“ mit Stumpf und Stiel vernichten wollten, hätten sie es ohne weiteres tun können. Sie haben es bekanntlich nicht getan, sonst müssten (und könnten) wir uns in diesem Land und in dieser Stadt nicht diesen Quark anhören. Wahnhaft ist auch die folgende Behauptung:
„Bis jetzt ist unsere Geistesverfassung, unser Gemütszustand immer noch der eines total besiegten Volkes.“

Das sagt mehr über den Gemütszustand Björn Höckes als über den des deutschen Volkes aus. Da hatte das Bundesverfassungsgericht am Vormittag noch festgestellt, dass die NPD zu unbedeutend zum Verbieten ist, und am Abend klaut der Höcke der NPD das Thema und kommt damit groß in jeder Zeitung… Das ist irgendwie komisch, aber es gibt noch ein paar andere interessante Aspekte an dieser Rede (auch wenn sie keine interessante Rede ist), die mir in der öffentlichen Betrachtung bislang zu kurz gekommen zu sein scheinen.

Klassisch für rechtsextremes Denken ist auch das Bild von einem allgemeinen Verfall Deutschlands – hier ein Beispielsatz aus der Rede: „Unser einst intakter Staat befindet sich in Auflösung, seine Außengrenzen werden nicht mehr geschützt, er kann die innere Sicherheit nicht mehr garantieren, das Gewaltmonopol erodiert zusehends durch Inkaufnahme rechtsfreier Räume und der allgemeine Rechtsverfall schreitet voran. Unsere einst geachtete Armee ist von einem Instrument der Landesverteidigung zu einer durchgegenderten multikulturalisierten Eingreiftruppe im Dienste der USA verkommen.“
Und weiter:
„Liebe Freunde, und unser liebes Volk ist im inneren tief gespalten und durch den Geburtenrückgang sowie die Masseneinwanderung, erstmals in seiner Existenz tatsächlich elementar bedroht.“
Dazu gehört die Stilisierung der eigenen Papier als einzige Hoffnung auf Änderung der gegenüber alle anderen Parteien als „System-“, „Block-“, „Altparteien“ usw. in einen Topf geworfen werden – ein solches Denken ist auch charakteristisch für die NPD [siehe Anm. 2]. Aufschlussreich sind auch die angedeuteten Positionen zu Außenpolitik und Demografie, auf die hier aber nicht im einzelnen eingegangen werden soll (Kenner*innen der extremen Rechten könnten wohl ganze Aufsätze über diese Rede schreiben).

Nun ist die Erkenntnis, dass Höcke ähnlich wie die NPD denkt, a) allmählich allgemein bekannt und b) nicht neu. Das könnte anhand von Begriffen wie „nationale Solidargemeinschaft“ vertieft behandelt werden, ich finde aber anderes an dieser Stelle interessanter, nämlich das Parteiverständnis Höckes.

Bei den folgenden Bemerkungen ist Folgendes zu bedenken: Höcke sprach auf Einladung der „Jungen Alternative“, auch wenn das angesichts eines überwiegend aus älteren Herrschaften bestehenden Publikum kaum mehr wahrnehmbar war. Ich bin überzeugt, dass die versammelten Hassgreise einige der Denkfiguren Höckes gar nicht verstanden haben, weil sie sie nur als starke Worte aufgefasst haben, ohne dabei ein Konzept zu erkennen.

Der Satz „Die AfD ist die letzte evolutionäre, sie ist die letzte friedliche Chance für unser Vaterland“ löste schon mal Begeisterungsstürme aus, wie auch die folgenden Sätze, die man sich aber nochmal in aller Ruhe zu Gemüte führen sollte:

„Damit sie es sein kann, muss sie sich als inhaltliche – nicht als strukturelle, als inhaltliche! – Fundamentalopposition verstehen, denn sie ist die einzig relevante politische Kraft des Bewahrenden, die gegen die kollektiven Kräfte der Auflösung der One-World-Ideologen und ihrer Verbündeten steht.“
(„One-World-Ideologie“ ist übrigens wieder so ein Begriff, der so auch in NPD und anderen rechtsextremen Gruppen verwendet wird.)

„Und um ihren historischen Auftrag nicht zu verraten, muss die AfD Bewegungspartei bleiben, das heißt, sie muss selbst immer wieder auf der Straße präsent sein und sie muss im engsten Kontakt mit den befreundeten Bürgerbewegungen stehen.“
Dann schwärmt Höcke was davon vor, dass die Abgeordneten seiner Thüringer Landtagsfraktion „so oft wie möglich rausgehen“, und findet dafür den etwas putzigen Begriff der „Bewegungsfraktion“. Höcke meint, dass AfD-Abgeordnete sich „nicht im Parlamentarismus vollständig erschöpfen“ dürfen, was eine schöne Umschreibung für das Phänomen ist, dass AfD-Abgeordnete sich im Grunde genommen überhaupt nicht für parlamentarische Arbeit interessieren, sondern die Fraktionszuschüsse und Diäten als Grundlage für reine Propagandatätigkeit betrachten – und das ist beileibe kein auf Thüringen beschränktes Phänomen!

Den applaudierenden Deppen im Ballsaal gefällt aber genau das – und die folgenden konzeptionell bemerkenswerten Äußerungen gehen im Jubel fast unter:
„Das, hab ich mal ziemlich selbstbewusst, und ich tue es immer wenn ich außerhalb Thüringens unterwegs bin, immer wieder relativ selbstbewusst – das habe ich mal als den Thüringer Weg beschrieben. Es ist der Weg einer fundamentaloppositionellen Bewegungspartei und einer fundamentaloppositionellen Bewegungsfraktion und ich wünschte mir, dass dieser Thüringer Weg einer inhaltlichen, nicht strukturellen Fundamentalopposition, der Weg aller Landesverbände und aller Fraktionen in der AfD wird.“
Dies ist der Anspruch auf innerparteiliche Hegemonie. Mit dem Applaus des Pöbels versucht Höcke die Kader der „Jungen Alternative“ zu beeindrucken und eine innerparteiliche Kursentscheidung herbeizuführen.

„Wir werden das so lange durchhalten – und so lange ich in etwas in der AfD zu sagen habe, werde ich dafür eintreten und dafür kämpfen –, wir werden das so lange durchhalten, bis wir in diesem Lande 51 Prozent erreicht haben, oder…, …oder aber als Seniorpartner – als Seniorpartner! – in einer Koalition mit einer Altpartei sind, die durch ein kathetisches [Höcke verwechselt offenbar Katheter mit Katharsis] Fegefeuer gegangen ist, die sich selbst wiedergefunden hat, und die abgeschworen hat von einer Politik gegen das Volk um endlich wieder zu einer Politik für das eigene Volk…“ [Rest unverständlich].
Man kann diese Passage ohne weiteres als Machtergreifungsphantasie charakterisieren. Ziel Höckes ist es, als „Bewegung“ die Macht zu ergreifen, ohne vorher irgendwelche praktischen politischen Projekte im demokratischen Prozess zu verfolgen, denn solange die Macht nicht zu greifen ist, soll die AfD Fundamentalopposition bleiben. Ihm schwant als geschichtsbewusstem Menschen allerdings auch, dass eine eigene Mehrheit unter Umständen nicht zustandekommt, sondern dass er auf die Unterstützung von durch ein „Fegefeuer“ ausgebrannten etablierten Kräften angewiesen sein könnte – schließlich hat auch Adolf Hitler bei freien Wahlen keine absolute Mehrheit erlangen können; gebraucht hat er sie dann aber auch nicht.

Zwar mögen die „51 Prozent“ geeignet gewesen sein, die Anwesenden im Brauhaus besoffen zu quatschen, aber Höcke blickt ganz und gar nicht unreflektiert auf seine Partei:
„Ich muss nämlich auch auf eine große Gefahr hinweisen. Die meisten von euch wissen, dass ich Parteien an sich eher distanziert gegenüberstehe und immer auch versuche, die Distanz für mich zu mir selbst und die Distanz zu mir als Parteifunktionär aufzubauen und zu erhalten. Denn jede Partei hat eine schlimme Tendenz, und das ist die Tendenz der Oligarchisierung und der Erstarrung. Diese Tendenzen, liebe Freunde, sind Parteien immanent, das sind praktisch die Naturgesetzlichkeiten des Parteienstaates, und ich muss kein Prophet sein um leider orakeln zu müssen: Auch die AfD wird irgendwann einmal erstarren. Und sie kann auch irgendwann meinetwegen einmal erstarren, aber bitte erst nachdem sie ihre historische Mission erfüllt hat.“

Höcke nimmt offensichtlich Bezug auf das „Eherne Gesetz der Oligarchie“, das der deutsch-italienische Soziologe Robert Michels insbesondere in seinem 1911 erschienenen Werk „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie“ entwickelt hat. Michels versuchte nachzuweisen, dass Organisation zwangsläufig zur Oligarchie führen müsse. Er hat das vor allem anhand der Partei festgestellt, der er ursprünglich angehört hatte: der SPD. Später aber trat Michels als italienischer Staatsbürger der Faschistischen Partei in Italien bei – die ursprünglich vielleicht kritisch betrachtete Tendenz der Oligarchisierung nahm er zunächst als unvermeidlich hin, um sie schließlich politisch zu bejahen. Das hat bei Michels mehrere Jahre gedauert (mit dem Umweg über den revolutionären Syndikalismus), bei Höcke geht das binnen Sekunden.

Erst kennzeichnet er die Tendenz der Oligarchisierung als eine „schlimme“, um sie dann zu den „Naturgesetzlichkeiten des Parteienstaates“ zu zählen und schließlich zuzugestehen, dass auch die eigene Partei „meinetwegen“ erstarren könne. Sie solle nur vorher ihre historische Mission erfüllen.

Wenn man sich die oben genannte Machtergreifungsphantasie und den Weg des historischen Entdeckers der Oligarchisierungstendenz vor Augen führt, wird klar, in welche Richtung die „historische Mission“ weist, die Höcke seiner Partei zuschreibt. Sie soll in Bewegung bleiben, solange sie nicht absolut herrscht – sobald sie dies aber tut, darf sie erstarren. Das ist auch eine Möglichkeit, eine faschistische Partei zu beschreiben.

Um den Weg dahin zu gehen, hält Höcke es aber für erforderlich, zu vermeiden, dass seine Partei vor dem Endsieg erstarrt. Deshalb wendet er sich gegen jene, die die AfD als „Juniorpartner“ in Koalitionen führen wollen. Er nennt sie „Luckisten“.

Um eine Gegenmacht zu schaffen, appelliert er unter dem Jubel alter Männer an die gastgebende „Junge Alternative“: „Ich möchte, dass ihr euch im Dienst verzehrt. Ja, ich möchte euch als neue Preußen (….). Ihr merkt, ich will es euch nicht leicht machen. Ich weise euch einen langen und entbehrungsreichen Weg. Ich weise dieser Partei einen langen und entbehrungsreichen Weg. Aber es ist der einzige Weg, der zu einem vollständigen Sieg führt, und dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD und deshalb will ich diesen Weg – und nur diesen Weg – mit euch gehen, liebe Freunde!“

Das Verständnis der eigenen Partei und der mit ihr verbundenen Jugendorganisation als heroische Gemeinschaft, die ihren Angehörigen abverlangt, sich aufzuopfern, um einen totalen Sieg zu erringen, hat mit dem Parteienverständnis des Grundgesetzes nun wirklich nichts mehr zu tun. Es gibt verschiedene Definitionen von Faschismus, aber ich verweise hier auf den Text „Urfaschismus“ von Umberto Eco [Anm. 3] als einer eingängigen Beschreibung der Wesensmerkmale des Faschismus, anhand derer man in Höckes ganzem Politikverständnis, das nur die Alternative zwischen vollständigem Sieg und Untergang kennt, und in seiner Aufzählung der Tugenden einer idealen Höcke-Jugend faschistische Denkfiguren erkennen wird.

Höckes erinnerungspolitische Provokation bestimmt das öffentliche Empörungsgeschehen. Interessanter finde ich sein allgemeines Politikverständnis, das seine Ausrichtung im innerparteilichen Machtkampf bestimmt. Mir geht es nicht darum, ihm die Merkmale eines Nazis zuzuschreiben, um ihn dann guten Gewissens als „Nazi“ beschimpfen zu können. Wenn man jenseits der Empörung noch in der Lage ist, Faschismus von Nationalsozialismus zu unterscheiden, so kann man vorsichtig zusammenfassen, dass wenigstens die Vermutung naheliegt, dass Höcke mindestens ein faschistoides Politikverständnis hat, das er in seiner Partei durchsetzen will. Die Verachtung, die er offenbar für die „Halben“ und „Luckisten“ in seiner eigenen Partei empfindet, macht deutlich, dass er die Entscheidungsschlacht, die er innerhalb der AfD sucht, als Teil des von ihm propagierten Existenzkampfes um Deutschland betrachtet.

Jetzt mögen diejenigen in der AfD, die sich selbst als „bürgerlich“ betrachten, sich überlegen, ob man solche Leute einbinden kann. Und die „Bürgerlichen“ jenseits der AfD, die darüber nachdenken, ob man diese Partei einbinden kann, mögen noch einmal genauer hinsehen. Es gibt mehrere historische Beispiele von „Führern“, die nicht nur darauf erpicht waren, ihre Gegner niederzuwerfen, sondern auch ihre Rivalen loszuwerden. Dabei haben sie keine Rücksichtnahme gekannt. Erinnert sei an das bekannte Marx-Wort: „Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Das war nicht so gemeint, dass die „Farce“ wirkungs- und harmlos sei. Es kann sein, dass Höcke mit seinen Ansprüchen dereinst als Lachnummer dasteht. Aber wenn doch die Farce Wirklichkeit werden sollte, würde es auf jeden Fall unangenehm, und die notwendigen Gegenmaßnahmen müssten es mit Sicherheit auch sein.

[Anm. 1] Typische geschichtspolitische Denkmuster aus der NPD werden in dieser Publikation, S. 73 ff., behandelt: https://www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Reader/NPD-Brosch_re.pdf

[Anm. 2] Es gab noch lange keine AfD und von Björn Höcke hatten wir noch nie gehört, als Miro Jennerjahn und ich die Grundzüge rechtsextremer Ideologie wie folgt zusammengefasst haben: http://www.miro-jennerjahn.eu/texte-und-reden/grundzuege-rechtsextremer-ideologie/

[Anm. 3] http://www.zeit.de/1995/28/Urfaschismus/komplettansicht [Da der Text mittlerweile hinter einer Bezahlschranke liegt, merke ich an, dass im Netz auch Zusammenfassungen zu finden sind, z. B. hier: https://www.pressenza.com/de/2017/10/14-merkmale-des-ur-faschismus-nach-umberto-eco/

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