Am 9. November findet der Stadtparteitag der Dresdner Bündnisgrünen statt. Michael Schmelich hat einen Antrag gestellt, der auf das zügige Aushandeln einer Kooperationsvereinbarung zwischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und LINKEN sowie den drei fraktionslosen Stadträt*innen abzielt. Den Antragstext findet man (neben weiteren interessanten Anträgen) hier: https://wolke.netzbegruenung.de/s/yNwfQ6Bx38zDgCb.
Ich bin über die Formulierung gestolpert, dass „Fraktions- und Parteispitze“ aufgefordert werden, eine Vereinbarung mit den Fraktionen (!) DIE LINKE, SPD und der Gruppe „die Unabhängigen“ auszuhandeln. Ich fand es nicht logisch, dass unser Stadtvorstand ausschließlich mit Stadträt*innen verhandeln soll, während die Stadtvorstände der anderen Parteien nicht beteiligt werden sollen. Da dachte ich erst einmal an die Vorstände von SPD und LINKEN. Doch da fiel mir plötzlich ein, dass ja auch die Fraktionslosen, die Michael als „die Unabhängigen“ bezeichnet, als Kandidat*innen von Parteien bzw. einer Wähler*innenvereinigung in den Stadtrat gewählt worden sind, und deshalb habe ich den folgenden Änderungsantrag gestellt:
1) Zeile 6 (Überschrift):
Ersetzung von „Unabhängigen“ durch „Fraktionslosen“
2) Neufassung von Zeile 29 bis 32:
„1. Die Vorstände der Stadtratsfraktion und des Kreisverbandes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Dresden werden aufgefordert, sich darum zu bemühen, bis zum 30. November 2019 eine Vereinbarung auf Augenhöhe mit den Kreisvorständen von DIE LINKE, SPD, Piratenpartei, DIE PARTEI und der Freien Bürger e.V. und den Vorständen der Fraktionen DIE LINKE, SPD sowie mit den fraktionslosen Stadträt*innen auszuhandeln, die in zentralen Fragen der Stadtpolitik eine Mehrheitsbildung ermöglicht.“
3) Ergänzung in Zeile 44:
„(Beschlussfassung) bzw. zur etwaigen Feststellung des Scheiterns der Verhandlungen und zur Beratung der daraus folgenden politischen Konsequenzen (vorzulegen)“
Begründung:
Der Auftrag zur Aushandlung einer Kooperationsvereinbarung sollte nicht von falschen Voraussetzungen ausgehen. Vor allem sollte klar sein, welche Ebenen miteinander verhandeln: Es wäre unlogisch, wenn unser Kreisverband ausschließlich mit den Fraktionen bzw. mit Stadträt*innen verhandelte, aber die Vorstände der anderen Parteien von den Verhandlungen ausgenommen sein sollen. Außerdem muss der Kreis der Verhandelnden präziser gefasst werden statt durch ein ungenaues „Fraktions- und Parteispitze“ bezeichnet zu werden.
Da es im Stadtrat keinen Gruppenstatus gibt, kann auch nicht die Rede von einer „Gruppe der Unabhängigen“ sein. Fakt ist, dass eine Kooperation der Zustimmung der drei aktuell fraktionslosen Stadträt*innen bedürfte. Diese Stadträt*innen haben für drei verschiedene Listen kandidiert, die von zwei Parteien und einer Wähler*innenvereinigung aufgestellt worden sind.
Daraus folgt zweierlei:
1) Es gibt keinen Grund, die Parteien bzw. die Wähler*innenvereinigung, über deren Listen die fraktionslosen Stadträt*innen in den Stadtrat gewählt wurden, von den Verhandlungen auszuschließen. Im Sinne der Gleichbehandlung und der Legitimierung der Verhandlungsergebnisse sind ihre Vorstände in die Verhandlungen einzubeziehen.
2) Da die fraktionslosen Stadträt*innen von zwei konkurrierenden Parteien und einer konkurrierenden Wähler*innenvereinigung aufgestellt worden sind, gibt es keinen inhaltlichen Grund, sie als zusammenhängende Gruppe zu betrachten. Sofern die Bezeichnung „Gruppe der Unabhängigen“ suggerieren soll, dass den fraktionslosen Stadträt*innen besondere Rechte im Stadtrat eingeräumt werden sollen, muss dem entgegengehalten werden, dass es dafür keinerlei demokratische Legitimation gäbe – diese wäre bestenfalls gegeben, wenn sie für einen gemeinsamen Wahlvorschlag gewählt worden wären.
Darüber hinaus sollte eine etwaige Selbstbezeichnung der Fraktionslosen als „Unabhängige“, die suggeriert, dass alle anderen Stadträt*innen als „abhängig“ zu betrachten sind, nicht von uns anerkannt werden.
Da eine progressive Mehrheitsbildung aufgrund des Stadtratswahlergebnisses schwieriger geworden ist und der Erfolg von Verhandlungen zwischen so vielen Beteiligten nicht allein von den GRÜNEN Verhandler*innen abhängig sein kann, sollte die Möglichkeit des Scheiterns ins Auge gefasst werden. In diesem Falle wäre so schnell wie möglich zu klären, wie eine erfolgreiche progressive Stadtpolitik ohne Kooperationsvereinbarung möglich sein kann. Die Diskussion darüber müsste auf der geforderten außerordentlichen Mitgliederversammlung stattfinden.
Soweit mein Antrag mit Begründung.
Nun ist es leider so, dass ich am Stadtparteitag voraussichtlich nicht teilnehmen kann. Ich kann den Änderungsantrag also nicht einbringen. Mir wurde aber auch bedeutet, dass die Einbeziehung von Piratenpartei, DIE PARTEI und „Freien Bürgern“ das Ziel des raschen Verhandlungsabschlusses erst recht erschweren würden. Das leuchtet mir ein. Deshalb ziehe ich meinen Änderungsantrag zurück.
Meine Kritik halte ich aber aufrecht: Sollte die Kooperationsvereinbarung gelingen, stünde sie unter diesen Voraussetzungen unter keinem guten Stern. Drei Stadträt*innen werden allein aufgrund der Tatsache zu „Unabhängigen“ erklärt, weil ihre Parteien bzw. ihre Wähler*innenvereinigung zu schwach waren, Stadträt*innen in Fraktionsstärke in den Stadtrat zu entsenden. Während die Stadträt*innen unserer Partei sich vor derselben rechtfertigen müssen (was wohl auch für SPD und LINKE gilt), sollen die Fraktionslosen kraft eigener Wassersuppe in einer Kooperation agieren können. Ja, es ist sogar möglich, dass ein GRÜNER Stadtrat über das Mitgliedsrecht des Parteitagsantrags Arbeitsaufträge für den Vorstand seiner eigenen Fraktion formulieren kann, während die Fraktionslosen machen können sollen, was sie wollen.
Nun denn: Die Kooperation sollte entweder bald fertig werden oder es sollte, wenn das nicht möglich ist, eben das bald festgestellt und nach neuen Wegen gesucht werden, damit sich die Stadtpolitik mit den eigentlich relevanten Themen befassen kann.
Ich wünsche mir auch die Kooperation und werde den zügigen Abschluss einer Vereinbarung nicht behindern. Aber sie droht eine Fehlkonstruktion zu werden, und diese Warnung finde ich wichtig: Drei Parteien würden drei Einzelpersonen ausgeliefert sein, und man kann ja vielleicht hoffen, dass diese drei das nicht für ein willkürliches Handeln ausnutzen würden, aber in der Politik muss auch Vertrauen gut dosiert werden, und im Zweifelsfall würden sich alle Beteiligten im Recht wähnen, so dass es gleichgültig wäre, ob man einander Ehrlichkeit unterstellt oder nicht.
Vielleicht findet der Stadtparteitag ja einen Weg, diese Problematik zu entschärfen.
Demokratietheoretisch und -praktisch eine völlig richtige Auffassung. Allerdings gestatte ich mir den Hinweis, dass auch 2014 die Kooperation zwischen Parteien und Fraktionen von Linken, Grünen und SPD geschmiedet wurde und die damaligen Piraten-Stadträte als Einzelpersonen unterschrieben haben.