Warum ausgerechnet mich?

Bei der diesjährigen Wahl zum Dresdner Stadtrat bewerben sich 903 Kandidat*innen aus fünfzehn Parteien und Wählervereinigungen um die Mandate. Da nur 70 Sitze zu vergeben sind, ist klar, dass sehr viele Bewerber*innen keinen erringen werden. Das gilt sehr wahrscheinlich auch für mich.

Ich kandidiere auf Platz 8 der Liste von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Wahlkreis 2 (Neustadt). Klar, es ist theoretisch möglich, mehr Stimmen als die Menschen auf den Plätzen 1 bis 7 (bzw. 9 und 10) zu bekommen, aber um das zu schaffen, müsste ich ein echter Hansdampf-in-allen-Gassen, bekannt wie ein bunter Hund, ein Promi und beliebt wie Freibier sein. Bin ich wohl eher nicht. Aber ich kandidiere.

Das tue ich natürlich in erster Linie, um GRÜNE Politik in Dresden zu unterstützen. Stimmen für mich nutzen dem „großen Ganzen“, auch wenn ich selbst kein Mandat erringe. Ich kann auch sagen, dass auf der Liste neun andere gute Leute stehen, die auch viele Stimmen verdienen. Ganz besonders sage ich das über Hanna Ogrzewalla, die erstens noch relativ neu bei uns Neustadtgrünen ist und zweitens einen Nachnamen hat, den man sich schwer merken kann, und damit nicht so bekannt wie andere sein dürfte. Aber sie kandidiert auf Listenplatz 3 und engagiert sich für grüne Mobilitätspolitik und ich fände es schön, wenn sie ihre Ideen in den Stadtrat einbringen könnte, denn da ist es nötig.

Jedoch: Wenn ich wider jegliches Erwarten ein Mandat erringen sollte, würde ich es auch antreten, und deshalb hat die geneigte Wählerin bzw. der geneigte Wähler ja doch ein Recht, zu erfahren, was mich „ausmacht“, also vielleicht auch, was mich von anderen unterscheidet…
Unser Kommunalwahlprogramm habe ich als Mitglied mitbeschlossen (und zuvor ein bisschen im Programmprozess mitgewirkt). Unser Regionalprogramm für die Neustadt trage ich nicht nur mit, sondern ich nehme für mich in Anspruch, als Koordinator unserer Regionalgruppe es ermöglicht zu haben, dass es erarbeitet, diskutiert und beschlossen wurde. Programmarbeit ist nicht jedermanns Sache, und ich würde, was das anbelangt, auch gerne die Kontinuität bei uns verbessern. Die Differenzen zu anderen NeustadtGRÜNEN liegen vielleicht eher in nicht programmatisch fixierten Punkten.

Bei den folgenden Punkten kann ich teilweise auch auf frühere Blog-Einträge verweisen, manche Themen bleiben ja bekanntlich Evergreens… Aber die wichtigste Botschaft zuerst: Ich behaupte nicht, zu wissen, wie die Neustadt „eigentlich“ ist, „eigentlich“ mal war oder „eigentlich“ sein sollte. Daraus folgt, dass ich auch nicht zu wissen behaupte, welches Leben für die Neustadt das „richtige“ sei. Ich träume nicht vom Land, in dem es immer Kaviar, Hummer und Vanilleeis gibt – pardon: in dem für immer Frühling ist, und habe keine Utopie, an die die Menschen angepasst werden müssten. Und außerdem wird man der Vielfalt des Stadtteils nicht gerecht, wenn man nur das Kiezmäßige daran sieht.

Autofreie Neustadt: Die Forderung wird ja von verschiedenen Menschen unterschiedlich dezidiert geäußert. Mich erinnert sie irgendwie an das Bedingungslose Grundeinkommen: Klingt erstmal gut, aber eine akzeptable Umsetzung ist auch nicht zu erkennen, schließlich wird’s wohl nie kommen – was natürlich garantiert, dass die Debatte darüber niemals endet. Nun ja, da in dieser Hinsicht in den letzten fünf Jahren nichts Wesentliches passiert ist, kann ich ohne Abstriche auf meinen fünf Jahren alten Beitrag in diesem Blog verweisen.
Ja, die Dominanz des Autos ist durchaus das Hauptproblem der Verkehrspolitik, aber man kann nicht einfach Autofreiheit für einen Stadtteil verfügen. Vorher wären noch so einige Fragen mit den Neustädter*innen zu klären… Wo ich mittlerweile aber rigoros werde: Wegen der für Radfahrer*innen riskanten Gleise und angesichts des Umstandes, dass immer wieder die 13 wegen beschissen geparkter Autos nicht durchkommt, bin ich für die komplette Befreiung der Rothenburger Straße vom ruhenden Verkehr! Und zwar in Kombination mit Maßnahmen, die verhindern, dass daraus eine Rennstrecke wird – das könnte Stadtgrün, sinnvoller Straßenbelag, Sitzbänke usw. sein. Parkende Autos sofort raus aus der Rothenburger! Meine Meinung!

BRN: Ich gehöre zu den Neustädter*innen, die (sorry, Ulla!) die BRN nicht sonderlich vermissen. Zumal ja an die Stelle der BRN lauter kleinere Feste getreten sind, die nicht nur örtlich, sondern auch zeitlich entflechtet sind. Letzteres finde ich super! Es ist vor der Pandemie (trotz partieller Verbesserungen) nie gelungen, die Entwicklung der BRN zur Bier-, Bratwurst- und Bunkenrepublik umzukehren, und das war wahrscheinlich auch gar nicht möglich. Die BRN war immer ein Kind ihrer Zeit, und wenn diese Zeit vorbei ist, dann wird halt klar, dass sie nicht so etwas wie ein irgendwie „alternatives“, aber nichtsdestotrotz etabliertes Volksfest werden konnte. Bei denjenigen, die zuletzt das Schwarz-Rot-Gold in der BRN-Flagge kritisierten, hat schon der ironische Bezug aus der DDR-BRD-Zwischenzeit von 1990 nicht mehr funktioniert. Das ist beispielsweise so ein Indiz. So wie früher wird es eben nicht mehr (und so besonders auch nicht – aber besteht die Kunst nicht gerade darin, damit leben zu können?).
Ich bin deshalb skeptisch, wenn von einer „Wiederbelebung“ der BRN die Rede ist. Natürlich kann und muss man über eine Satzung für die BRN reden, wenn es wieder eine BRN geben soll, aber ich würde mir wünschen, dass über ein Bürger*innenbeteiligungsverfahren erst einmal geklärt wird, OB die Menschen mehrheitlich wieder eine BRN wollen, bevor geklärt wird, WIE sie gestaltet werden soll. Und das will ich in DER Reihenfolge, weil ich eben NICHT weiß, wessen Meinung zum Thema gesellschaftlicher Konsens in der Neustadt ist. Und da unterscheide ich mich wahrscheinlich wirklich von meinen Mitgrünen, dass ich nicht sehe, was ein „bürgerschaftliches Nachbarschaftsfest in kommunaler Hand“ genau sein soll (ich sehe da einen inneren Widerspruch). Eine wiederbelebte „alte“ BRN wäre es, so vermute ich, wahrscheinlich nicht.

Nächtliches Treiben (Schiefe-Ecke-Diskussion): Ich bekenne mich dazu, dass ich Cornern für eine der trostlosesten Freizeitaktivitäten überhaupt halte, aber ich bin ja bewusst kein Mitglied einer Verbotspartei und leite aus meiner Haltung keine politischen Forderungen ab. Ich habe das in diesem Blog mal etwas ausführlicher beschrieben (und meine Meinung ist insbesondere in Details kein Konsens bei Grüns), aber ich mache es an dieser Stelle mal kurz: In der Neustadt sind die Gepflogenheiten zum Glück anders als in Striesen. Daraus lässt sich aber kein Recht auf Ruhestörung ableiten. Bevor man über neue Verbote nachdenkt, sollte man geltendes Recht UMSETZEN – ich behaupte nach wie vor, dass wir in der Vergangenheit ein Umsetzungs-, kein Regelungsdefizit hatten. Bei den denkbaren Verbotsmaßnahmen könnte (!) ich mir vorstellen (!), dass ein örtlich und zeitlich scharf begrenztes Alkoholkonsumverbot unter bestimmten Umständen eine adäquate Maßnahme sein könnte. Ein Alkoholabgabeverbot wäre es hingegen auf keinen Fall. So, das war mein Stimmchen dazu im dissonanten Chor (Näheres in der Langfassung).

Noch was?

Naja, da es bei meiner Kandidatur um den Stadtrat geht, noch ein paar Anmerkungen in diese Richtung: Ich würde mich dort wahrscheinlich besonders für die Gedenkkultur der Stadt interessieren. Da sehe ich vor allem den Bedarf einer Normalisierung. Der Grünen Jugend, die in diesem Jahr mit Bezug auf den 13. Februar gefordert hat, das Gedenken „abzuschaffen“, würde ich antworten, dass das gar nicht geht. Gedenken findet statt. So oder so. Das erledigt sich nicht auf dem Verwaltungsweg (ich hätte gerne die Zeit gehabt, dazu einen längeren Text zu schreiben). Da hätte ich es gerne, dass wir der Komplexität der Thematik gerecht werden.

Und dann schließlich: Zum einen sehe ich die Notwendigkeit, kontinuierlich rechten Positionen entgegenzutreten. Und zwar nicht mit der Rundumleuchte auf dem Kopf und permanent „Alerta!“ rufend, sondern kontinuierlich nachweisend, dass diese Positionen unvernünftig, falsch und für die meisten Menschen – auch solche, die sie unterstützen – schädlich sind. Zum anderen halte ich es für richtig, dass wir große Schritte beim Klimaschutz gehen müssen und insbesondere bei der Verkehrswende – aber dafür muss man kontinuierlich Mehrheiten gewinnen. Man kann aber Menschen nicht gewinnen wollen, wenn man sie für „lost“ hält. So denke ich von den wenigsten Menschen. Und man muss sich bewusst sein, dass man sehr, sehr viele Menschen von der Notwendigkeit von Maßnahmen überzeugt haben muss, damit das rückschrittliche Narrativ von der „Bevormundung“ nicht verfängt. In dieser Beziehung müssen wir besser werden. Zu diesem selbstkritischen Blick bin ich fähig.

Wenn ich es so recht bedenke, gibt es wirklich Gründe, ausgerechnet mich zu wählen…

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