Gegen (Achtung!) Satire

In Deutschland stellt man gerne die rhetorische Frage „Was darf Satire?“, aber die Frage „Was ist eigentlich Satire?“ ist nicht so populär.

Kostprobe im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: Ein älterer deutscher Herr, der völlig witzfreie Kommentare über politische Korrektheit oder die Jugend von heute abgibt, oder eine affektiert redende und sich wohl irgendwie für exotisch haltende junge Österreicherin, deren Tonfall anscheinend Sarkasmus signalisieren soll. Das Publikum zeichnet sich durch den durchgehenden „Ja-genau-so-ist-es!“-Gesichtsausdruck aus – die Leute sind gekommen, um zu hören, was sie hören wollten, und bestätigt zu bekommen, was sie schon immer zu wissen meinten. Das ist natürlich eine Dienstleistung, die man anbieten kann, und meinetwegen auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber ob das Satire ist?

Sogenannte Satire, die Anlass für öde Debatten über vermeintliche politische Korrektheit bietet, ist verzichtbar. Satire ist Spott. Wenig zielführend ist die Forderung, dass der Spott sich nur gegen „die da oben“ wenden dürfe, um Satire genannt werden zu dürfen. Natürlich darf man auch Menschen verspotten, denen es schlechter geht als einem selber oder die sich im Gegensatz zu einem selber für ein gutes oder gerechtes Anliegen einsetzen. Aber dann darf man als „Satiriker“ auch nicht erwarten, dass andere als die Bewohner rechter Blasen das witzig finden. Arschlochhumor ist selbstverständlich erlaubt, aber das Zielpublikum besteht dann eben auch nur aus Arschlöchern.

Satire bzw. das, was als „Satire“ präsentiert wird, ist in Deutschland sakrosankt. Wer Satire kritisiert, wird mit dem Zitat „Was darf Satire?“ daran erinnert, dass Satire per se immun gegen Kritik sei, denn die darf ja, wie wir von Kurt Tucholsky wissen, „alles“. Wer dem widerspräche, machte sich verdächtig, das Schicksal Kurt Tucholskys nicht zu würdigen. Dass vielmehr die Damen und Herren „Satiriker*innen“ von heute den Witz und Esprit eines Tucholskys nicht zu würdigen wüssten, gerät da völlig aus dem Blick, und so wird der geistloseste, unlustigste, gehässigste und überflüssigste Mist hinter diesem Zitat versteckt.

Diese Form der Feigheit manifestiert sich in der in Deutschland bereits seit Jahrzehnten praktizierten Unart, derartigen Muahahaha-und-Höhöhö-Humor mit der Wendung „Achtung (oder gar: „Vorsicht“), Satire!“ einzuleiten, damit schon alle vorgewarnt sind, dass man Kritik am Folgenden zu unterlassen und eine belustigte Miene zum langweiligen Spiel zu machen habe. Dabei fällt niemandem auf, dass die Warnung ein Beleg dafür ist, dass die sie Aussprechenden WISSEN, dass ihr Publikum entweder keine Ironie versteht oder die angebliche Ironie als solche nicht erkennbar bzw. in Wahrheit gar nicht vorhanden ist.

Besonders trostlos wird es, wenn die Komiker mittels einer „Satirepartei“ den zu karikierenden Betrieb zu nerven versuchen. Satirische Rede ist im Parlament nicht witziger als außerhalb – das ist nur noch nicht allen aufgefallen. Man kann bestenfalls dazu gratulieren, dass andere zu unfreiwillig komischen Reaktionen veranlasst werden, so wie die Dresdner Stadträtin, die zunächst mit dem Stadtrat der „Satirepartei“ eine Fraktion bilden wollte, um dann zur CDU-Fraktion zu wechseln, weil sie festgestellt hatte, dass dieser Kollege nur „Satire machen“ wolle. Ach was! Das war etwas komisch, auch wenn es ziemlich trostlos war. Ein nicht richtig guter Witz eben.

Im Laufe der Jahrhunderte war die Geschichte der Satire auch eine der Verfeinerung. In ihren Anfängen war die Satire wohl weniger geistreich als in späterer Zeit, aber diese Aufwärtsbewegung ist vorbei, und das begründet ein Unbehagen gegenüber dem Satiriker, das dem gegenüber dem besoffenen Onkel auf der Familienfeier gleicht. Man wird wieder persönlich und unpolitisch: In den 80er Jahren machte man sich über die Unförmigkeit des Kanzlers und die geringe Körpergröße des Sozialministers lustig – eine Kritik, mit der diese gut leben konnten – heute lauert man Parteitagsdelegierten auf, um sie aufs Glatteis zu führen, damit die Sesselbewohner*innen der Republik an den Empfangsgeräten sich in ihrem Vorurteil bestätigt sehen können, dass politisch engagierte Menschen doofer sind als man selbst. Selber schuld! Muahahahaha!

Natürlich wird man Satire nicht ohne weiteres verbieten können. Zunächst mal müssen wir darauf setzen, dass in der Gesellschaft ein Bewusstsein für die Abgründe der Satire geschaffen wird, damit das Treiben der selbsternannten Satirikerinnen und Satiriker von immer mehr Menschen kritisch hinterfragt wird. Allerdings sollte es möglich sein, Satire im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu unterbinden, indem entsprechende Sendeplätze gar nicht erst dafür zur Verfügung gestellt werden. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist dies übrigens auch am dringendsten geboten, weil hier ja Bevölkerungsschichten durch satirische Beiträge erreicht, ja ggf. sogar versehentlich erreicht werden, die sonst gar nicht auf die Idee kämen, satirische Veranstaltungen zu besuchen oder satirische Medien zu kaufen oder zu abonnieren. Wenn größere Teile unserer Bevölkerung in der Tat so dumm sind, dass sie ernsthaft glauben, dass mit einer Oma, die im Hühnerstall Motorrad fahre, entweder ihre eigene Oma oder eine real existierende Generation gemeint sei, ist es völlig unverantwortlich, sie mit satirischen Inhalten zu konfrontieren, mit denen sie ganz offensichtlich nicht verantwortlich umgehen können.

Die Abschaffung der Satire darf daher auf Dauer kein Tabu mehr sein! Und selbst wenn es nicht gelingt, sie vollständig zu verdrängen, sollte man vielleicht überlegen, sie auf bestimmte Orte und Medien zu beschränken, die erwachsene Menschen verantwortlich nutzen können – beispielsweise so wie früher Pornographie nur in ganz bestimmten Magazinen und Kinos stattfand.

Darüber wird man nachdenken müssen. Auf keinen Fall aber dürfen wir uns länger dem Ziel verschließen, eine der lächerlichsten Formulierungen überflüssig zu machen und aus dem Sprachgebrauch zu verbannen – das dümmste Etikett, den erbärmlichsten Warnhinweis, das traurigste Wortpaar: „Achtung, Satire!“