Erste Vorbemerkung: Wer den folgenden Beitrag missverstehen will, wird ihn missverstehen.
Zweite Vorbemerkung: Wenn ich die nötige Beharrlichkeit aufbringe, werde ich an dieser Stelle in den kommenden Monaten eine Reihe von Beiträgen recht grundsätzlicher Natur veröffentlichen. Wenn ich mich hier nicht zur Corona-Pandemie äußere, bitte ich das nicht als Zeichen des Desinteresses, sondern der Demut zu verstehen. Ich weiß, dass diese Pandemie mit ihren Folgen unsere Gegenwart prägt und noch lange prägen wird, aber ich kann die Folgen auch nicht absehen. Ich bringe auch nicht die Voraussetzungen mit, in dieser Situation kluge Ratschläge zum Umgang mit der Pandemie zu erteilen. Fachleuten kommt es zu, praktische Ratschläge zu erteilen und konkrete Maßnahmen vorzuschlagen. Wer philosophischen oder spirituellen Rat zur Frage, wie die Situation geistig oder seelisch zu bewältigen sei, sucht, ist vielleicht sogar gut beraten, ihn bei Autorinnen und Autoren aus Zeitaltern zu suchen, denen derartige existenzielle Krisen weniger fremd als dem unseren waren. Ich aber möchte den Schnellschüssen keinen weiteren hinzufügen; und schon gar nicht möchte ich mich unter diejenigen reihen, die die Pandemie im Grunde genommen nur als Bestätigung jener Auffassungen heranführen, die sie sowieso schon immer gehabt haben. Vielleicht werde ich eine Nachbetrachtung vornehmen, und es könnte sein, dass diese sich insbesondere den Erkenntnissen widmen wird, die diese Krise über das Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft gebracht haben wird – die Bemerkungen, die ich in diesem Blog schon gemacht habe, sind dann vielleicht zu ergänzen.
Jetzt aber zur Feststellung, die missverstehen wird, wer sie missverstehen will:
Es ist eine permanente Belastung des politischen Diskurses in Deutschland, dass hier die Möglichkeit einer demokratischen Rechten unausgesprochen verneint wird. Selbst diejenigen, deren Position man als demokratisch rechts charakterisieren müsste, beharren darauf, „die Mitte“ zu sein. Der Begriff „rechts“ ist in diesem Land historisch belastet, aber das hat zu einer Unklarheit geführt, von der die antidemokratische und völkische Rechte heute profitiert.
Zu sagen, dass es im demokratischen Spektrum rechte Positionen geben kann, bedeutet nicht, sie zu teilen. Ich verteidige hier also nichts außer vielleicht die Meinungsfreiheit. Die verteidige ich auch gegen Linke, die zu Unterscheidungen nicht in der Lage sind. Man kann andere Ansichten durchaus unerträglich finden, aber nicht alle sind indiskutabel. Faschist ist nicht, wer sich die 50er Jahre zurückwünscht. Das Grundgesetz galt auch schon für eine Gesellschaft, die wir heute als reaktionär wahrnehmen können, weshalb ich manche gesellschaftspolitisch rückwärtsgewandte Positionen heftig ablehne, sie deshalb aber nicht als Nazipositionen behandeln darf. Was allerdings auch nicht ausschließt, ihren reaktionären Charakter zu benennen (da fangen die Rechten ja meistens schon an, zu jammern!).
Das Problem ist, dass die jahrzehntelange Tarnung der demokratischen Rechten als „Mitte“ dazu beigetragen hat, dass eine Unterscheidung legitimer rechter und legitimer linker Positionen vielen Menschen schwerfällt. Auf der anderen Seite hilft die traditionelle Nicht-Unterscheidung zwischen demokratischer und antidemokratischer Rechten aktuell einer neuen antidemokratischen Rechten, zu behaupten, die demokratische Rechte zu sein, die lange niemand sein wollte.
Der Kult der demokratischen Rechten um den Begriff der Mitte trägt nicht zur Klarheit bei. Zunächst einmal wird damit ja schon akzeptiert, dass das Feld der politischen Positionen als eine Art Leiste beschrieben werden kann, die eine rechte und eine linke Seite hat. Wer weder rechts, noch links sein wollte, müsste sich auf einer dünnen Linie befinden, die tatsächlich die Mitte wäre. Eine solche Zuschreibung wäre aber sinnlos, wenn mit „Mitte“ ein breites Spektrum von Positionen gemeint sein soll, das beispielsweise durch eine sogenannte Volkspartei abgedeckt wird. Damit hätte dann auch die Mitte zwangsläufig ihren rechten und ihren linken Teil, der jeweils in den rechten und den linken Teil der gesamten Skala überginge. Am Ende sind also fast alle Positionen wieder „eher rechts“ oder „eher links“ – nur dass sich viele nicht zum „eher rechts“ bekennen mögen.
Die Behauptung, dass die Begriffe „links“ und „rechts“ zur Beschreibung politischer Koordinaten nicht mehr geeignet seien, war schon mal populärer als heute. Leider haben auch Grüne diesen Unsinn vertreten, weil man durchaus zurecht behaupten kann, dass eine Frage wie der Klimawandel keine Frage von „links“ oder „rechts“ sei. Aber auch wenn dies die dominierende Frage unserer Tage ist, sind damit die Begriffe „links“ und „rechts“ nicht obsolet – dass im Hintergrund immer noch die Frage offen ist, ob der Kapitalismus nicht eher hinderlich bei der Eindämmung der globalen Erwärmung ist, und dass (von den Faschisten mal abgesehen) sehr viele unter den Konservativen und Liberalen – also jenen, die ich als „demokratische Rechte“ bezeichnen würde – so ihre Schwierigkeiten haben, den Klimawandel überhaupt wahrzunehmen, in seiner Bedeutung einzuschätzen oder als relevante politische Frage anzuerkennen, sei hier nur angemerkt. Auch in der Klimapolitik wird man linke von rechten Ansätzen unterscheiden können, aber es sei den Kritiker*innen dieser Begrifflichkeit zugestanden, dass klassische Zuschreibungen wie „Partei der Arbeiterklasse“ oder „Bürgerliche“ vor dem Hintergrund des Klimawandels an Bedeutung und Strahlkraft verlieren.
Trotzdem gibt es ein Kriterium, mit dem wir Rechte von Linken unterscheiden können, nämlich die Positionierung zum Ideal der Gleichheit. Linke Politik zielt auf die Gleichheit der Menschen ab, sie ist egalitaristisch, rechte Politik ist es nicht, wie es Norberto Bobbio in seinem Buch „Rechts und Links. Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung“ (Original: Destra e Sinistra, 1994) ausgeführt hat. Das war eine zeitlang nach 1989 eine Erinnerung an den Sinn einer Unterscheidung, den viele damals vergessen hatten oder vergessen wollten. Heute ist das Problem der Ungleichheit im politischen wie wohl auch im gesellschaftswissenschaftlichen (und dazu zähle ich auch den wirtschaftswissenschaftlichen) Diskurs wieder präsenter. Und entsprechend aggressiver ist auch die Verteidigung der Ungleichheit als Prinzip durch, ja, die Rechte.
Rechts von der dünnen Linie, die die „Mitte“ sein muss, stehen diejenigen, die egalitäres Denken ablehnen – z. B. weil sie es als eine unproduktive „Gleichmacherei“ auffassen, die den Menschen nicht gerecht wird und gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung hemmt – also die Konservativen und die Liberalen.
Norberto Bobbio unterscheidet (wissend, dass die Wirklichkeit mehr Varianten kennt) idealtypisch eine extreme Linke von einer „linken Mitte“ und eine extreme Rechte von einer „rechten Mitte“. Demnach sei die extreme Linke egalitär und autoritär und die extreme Rechte antiegalitär und antiliberal. Die linke und die rechte Mitte seien beide freiheitlich, aber in der Unterscheidung jeweils egalitär bzw. nichtegalitär. Auch hier ist von einer „Mitte“ die Rede, aber es ist klar, dass man sich innerhalb dieser Mitte links oder rechts positionieren muss, weil es ein Unterscheidungsmerkmal gibt. Zwischen egalitär und nichtegalitär gibt es keine „mittige Mitte“.
In Deutschland sollte man etwas ausführlicher auf den Nationalsozialismus eingehen, den Bobbio in seinem Buch in einem Atemzug mit dem Faschismus benennt. Die absolute Überspitzung des Ungleichheitsgedankens bei den Nazis dürfte ein Grund dafür sein, dass das Attribut „rechts“ hierzulande als belastet erscheint. Ja, in der extremen Konsequenz kann das Ungleichheitsprinzip dazu führen, dass Menschen als „lebensunwert“ klassifiziert werden, aber daraus ergibt sich nicht die Verpflichtung, links zu sein, sondern die Menschenrechte zu respektieren und sich demokratisch und freiheitlich zu positionieren. Entsprechend – und hier geht es nicht um die Gleichsetzung von Menschheitsverbrechen – hat die Linke eine Verpflichtung, die Menschenrechte zu respektieren und sich demokratisch und freiheitlich zu positionieren, denn Repression, Terror und Massenmord im Namen der Gleichheit sind auch historische Tatsachen (nicht nur im 20. Jahrhundert), die nicht ignoriert werden dürfen.
Die Bedenken der Konservativen gegen die Gleichheit sind in dem Umstand begründet, dass sie den Menschen immer nur als Teil von gesellschaftlichen Formationen verstehen können, die ihm nach diesem Verständnis erst seine Würde verleihen. Ganz oben steht die Familie, es folgen lokale Gemeinschaften und schließlich die Nation (das Europa der Vaterländer ist noch eine denkbare weitere Ebene). Die Anerkennung der bestehenden Hierarchien in diesen vorgefundenen Formationen ist meistens Bestandteil des konservativen Denkens, weshalb es auch ausgesprochen antiemanzipatorischen Charakters sein kann.
Vermeintlich „links“ vom Konservatismus steht ein Liberalismus, der das Individuum auch von solchen Fesseln befreien will, das Ideal der Gleichheit aber als Gefährdung desselben wahrnimmt. Gleichheit wird hier noch mehr als Gleichmacherei gesehen, als ein Prinzip, das beispielsweise leistungsfeindlich ist. Nicht gleich sein zu müssen, erscheint als etwas, was man sich verdient haben kann. Die Betonungen unterscheiden sich vom Konservatismus und zugleich sind die konservative und die liberale Position die Pole eines Sektrums, in dem es verschiedene Abstufungen gibt. Es war ja eine „konservative“ Premierministerin, der das ausgesprochen neoliberale Diktum „Es gibt keine Gesellschaft“ zugeschrieben wird. Als Schwundstufen von Gemeinschaft können Neoliberale im konservativen Geiste die „gewachsenen“ Strukturen von der „Gesellschaft“ positiv unterscheiden: Es gibt „family values“ statt Solidarität, aber auf keinen Fall so etwas wie eine gesellschaftliche Vision…
Ich würde Bobbios Unterscheidungen dahingehend variieren, dass im rechten Spektrum der Konservatismus eine Position der Hierarchisierung und der Abgrenzung zwischen Sondergemeinschaften ist, während der Liberalismus für Individualismus und einen gewissen Pluralismus steht. Die „extremen“ Positionen charakterisieren sich dadurch, dass sie die Abgrenzung zur Ausgrenzung steigern und die Hierarchie zum totalen Prinzip der Gesellschaft in ihrer Gänze. Das ist das, was man Faschismus nennt, und der Nationalsozialismus bildet den äußersten Pol, an dem die Ausgrenzung schließlich eliminatorisch wirkt. Das stellt einen Bruch gegenüber den legitimen Positionen der demokratischen Rechten dar – und diese kann und muss sich darauf berufen, dass es diesen Bruch gibt.
Im Kampf gegen die Gleichheit jedoch wissen sich die (Paläo- und Neo-)Konservativen, die (Paläo- und Neo-)Liberalen und die Liberalkonservativen verschiedener Schattierungen vereint.
Beispielsweise führt (ich weiß nicht, ob noch zu dem Zeitpunkt, da Sie dieses lesen) ein Mitglied des Vorstandes der Dresdner FDP in der sogenannten „Bio“ seines Twitter-Accounts ein (dort gegenüber dem gleich wiederzugebenden Original orthographisch modernisiertes) Zitat aus Goethes „Maximen und Reflexionen“ auf: „Gesetzgeber oder Revolutionärs, die Gleichsein und Freiheit zugleich versprechen, sind Phantasten oder Charlatans.“ Dass dieses Wort sich gegen die Französische Revolution richtete, ist klar. Wenn man diese zeitgenössische Kritik auch im Jahr 2020 noch aufrechterhält, wenn man sich heute noch gegen die alte Devise „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ stellt, muss man erklären können, inwiefern man damit nicht in dasselbe Horn bläst wie die jene Rechte, die sich als konterrevolutionär in Bezug auf 1789 versteht. Wer Gleichheit und Freiheit für unvereinbar hält, muss sich für eines von beiden entscheiden. Wenn er „Liberaler“ ist, wird man vermuten müssen, dass er die Ungleichheit als eine Bedingung der Freiheit ansieht, also als ein die „Freiheit“ Vertretender die Ungleichheit propagiert – und diese Haltung für die Ungleichheit ist eine rechte Haltung. Wirklich nur wenige Zeilen unter dem obigen Goethe-Zitat findet sich freilich in den „Maximen und Reflexionen“ auch das Folgende: „In der Gesellschaft sind alle gleich. Es kann keine Gesellschaft anders als auf den Begriff der Gleichheit gegründet sein, keineswegs aber auf den Begriff der Freiheit. Die Gleichheit will ich in der Gesellschaft finden; die Freiheit, nämlich die sittliche, daß ich mich subordinieren mag, bringe ich mit.“ Man fragt sich, wie unser liberaler Freund wohl dazu steht, aber so weit hat er wahrscheinlich nicht gelesen.
Nun finde ich es eben nicht schlimm, dass ein Liberaler sich in diesem Sinne gleichheitskritisch und somit rechts positioniert. Dass es einen Konflikt zwischen Gleichheit und Freiheit gebe, ist eine vertretbare Position, auch wenn ich sie nicht teile. Wer in diesem (vermeintlichen) Konflikt sich gegen die Gleichheit stellt, kann immer noch Demokrat*in sein, steht aber eindeutig rechts. Der Schwindel beginnt da, wo diese Position zur „Mitte“ erklärt wird. Das ist allerdings ein Publicity-Trick: Indem ich mich zur „Mitte“ erkläre, erwecke ich den Eindruck, dass meine Position die „normale“ sei, der gegenüber andere Positionen entweder Abweichungen oder Angriffe sind. Übrigens ist es dasselbe Manöver, wenn Linke sich zur „Neuen Mitte“ erklären – dann gibt es auch nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie sind lediglich verkleidete Linke, oder sie sind tatsächlich keine Linken mehr (man kann sich aussuchen, was man schlechter findet).
Um noch auf andere Liberale als den Angeführten (wenn auch nicht namentlich Genannten) einzugehen: Manche Liberale, die ihren Indvidualismus gegen die Gleichheit meinen verteidigen zu müssen, glauben gerne, dass sie auch so etwas wie eine Elite vertreten. In ihrer Arroganz glauben sie, dass diejenigen, die ihr atemberaubend simples Weltbild nicht teilen, dieses nicht verstanden hätten. Es ist ziemlich peinlich, wie sie Handwerkeridyllen à la Adam Smith bemühen, um den Spätkapitalismus zu verteidigen, keinen Unterschied zwischen „Markt“, „Unternehmen“ und „Kapitalismus“ zu machen wissen und eine Ideologie aus dem 19. Jahrhundert als der Weisheit letzter Schluss betrachten, den wir Trottel, die im 21. Jahrhundert leben, lediglich noch nicht gezogen haben. Hierzu wäre noch einiges zu ergänzen – dazu später mehr (wenn ich durchhalte).
Aber: Das ist alles nicht grundsätzlich illegitim, muss nicht unbedingt menschenverachtend sein und soll deshalb auch vertreten werden dürfen. Diese Positionen sind Teil eines Spektrums der demokratischen Rechten und sollten so auch bezeichnet werden dürfen – ohne dass sich jemand deshalb beleidigt fühlen muss.
Ein Gedanke zu „Rechts, wo das Herz nicht schlägt“