Dass Dresden keine gewöhnliche Stadt ist, dürfte der Konsens im Dissens in der hiesigen Kommunalpolitik sein. Dass unter die festgestellte Außergewöhnlichkeit ganz unterschiedliche Aspekte und Bewertungen fallen, ist dann wiederum der Dissens im Konsens.
Das ist ungefähr so, wie wenn man feststellt, dass Dynamo Dresden eine einzigartige Fankultur habe. Stimmt sicherlich, aber angesichts der letzten „Aufstiegsfeier“ werden wieder mal mit dieser Feststellung sehr unterschiedliche Gefühle verbunden – und bei manchen sind die Gefühle auch gemischt.
„Provinz ist keine Landschaft, sondern ein Zustand.“ Dieser schöne Satz wird dem früheren Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel zugeschrieben. Ich weiß nicht, was der Satz über Stuttgart aussagt, aber in Dresden kommt er mir auch gelegentlich in den Sinn. Hier gibt es ja die ausgeprägte Neigung, sich selbst und vor allem die eigene Vergangenheit zu feiern, was nicht immer unsympathisch sein muss, aber wenn der Wille zur Grandiosität sich auch in der Kommunalpolitik Bahn bricht, wird leicht der Eindruck der Provinzialität erweckt.
Dabei fällt es mir als Zugereistem natürlich besonders auf, dass ich manche Motivationen schwerer nachvollziehen kann als die Angestammten. In letzter Zeit waren das die Kindheitserlebnisse mancher mittelalter Menschen: Weil sie als Kinder einst auf dem Fernsehturm Eierschecke aßen bzw. im Sachsenbad schwimmen lernten, soll dergleichen auch in Zukunft wieder für die Dresdner*innen möglich sein. Zugegeben, die Gruppen sind nicht ganz deckungsgleich: Manchen ist die Erinnerung an die Eierschecke heiliger als das Schwimmenlernen oder umgekehrt. Je positiver der DDR-Bezug, desto stärker die Neigung, beides aus Steuermitteln finanzieren zu wollen.
Das Sachsenbad ist irgendwie typisch für Dresdner Debatten: Sie gehen ewig lang, und wenn überhaupt etwas dabei herauskommt, dann das Falsche. Ich muss zugeben, dass ich das Anliegen, das alte Sachsenbad als Bad für Pieschen wiederzubeleben, zwar verstehen konnte, es mir aber auch nicht besonders naheging, weil es für meinen Stadtteil schon relativ irrelevant war. Jahrzehntelang wurde über die teure Forderung diskutiert, das Sachsenbad wieder so zu machen, wie es mal war. Das Problem – insbesondere aus Neustädter Sicht: Als Bad für den ganzen Dresdner Nordwesten wäre es bei weitem nicht ausreichend, und da das Geld nicht unbegrenzt zur Verfügung steht, wäre aus „schwimmpolitischer“ Sicht die Wahl des Standortes nicht nur eine Frage verständlicher Pieschener Lokalinteressen.
So änderte sich die Diskussion seit 2016 dahingehend, dass die Harkortstraße als ein Standort für ein auskömmlich großes Bad in Frage stehen konnte (erstmals vorgeschlagen hat das wohl die SPD, wenn ich mich nicht irre). Bei den Neustadtgrünen haben wir das seit ca. 2017 so diskutiert und 2019 in unserem Stadtteilprogramm zur Wahl formuliert: „Das Pieschener Sachsenbad wird den Bedürfnissen des Sports und Schulsports nicht gerecht werden können. Deshalb haben wir uns dafür ausgesprochen, dass für das Sachsenbad ein privater Investor gefunden werden muss, öffentliche Mittel aber in einen anderen Standort investiert werden müssen.“
So, jetzt gab es aber zwei Probleme: Das Gelände an der Harkortstraße gehört der Deutschen Bahn und es war nicht abzusehen, dass sie es verkaufen würde. Die SPD-Fraktion sagt, sie habe bereits 2020 gewusst, dass die DB definitiv nicht verkaufen würde. Das war mir bislang auch nicht so klar (meine Parteifreund*innen im Stadtrat wussten es offenbar nicht), aber das ist jetzt auch egal, jedenfalls haben wir die Fläche nicht. Das andere Problem war, dass das mit dem privaten Investor, der so etwas wie ein Gesundheitsbad im Sachsenbad eröffnen würde, nicht zustandekam. Also, das Sachsenbad bröckelte weiter. Und so diskutierten weiter:
– diejenigen, die wieder im Sachsenbad schwimmen wollten,
– diejenigen, die einen anderen Standort für ein neues Bad wollten,
– diejenigen, die beides für finanzierbar hielten,
– diejenigen, die meinten, dass die Instandhaltung des Gebäudes nur durch den Verkauf gewährleistet werden könne.
Und noch diejenigen, die sich irgendwo zwischen diesen Gruppen befanden.
Die Debatte war über die Jahrzehnte einfach nur verkorkst. Ich glaube, dass die Hoffnung, wieder Wasser ins Sachsenbad bringen zu können – befeuert durch populistische Einflüsterungen einiger Akteure – lange verhindert hat, das in den Blick zu nehmen, was jetzt verloren geht: Die Perspektive auf ein Sachsenbad-Gebäude als Stadtteilzentrum (wenn auch nicht als Bad). Je länger man diskutierte, desto schlechter wurde der Zustand des Gebäudes. Das mag bei manchen zu verständlicher Verzweiflung geführt haben, die dazu verleitete, zu meinen, den Erhalt des Gebäudes nur noch durch den Verkauf gewährleisten zu können (siehe den bereits aufgeführten Link zur SPD-Fraktion). Ich will niemanden verurteilen, aber den Verkauf kommunalen Eigentums halte ich persönlich immer für die schlechteste Lösung (das war schon beim Woba-Verkauf, gegen den ich mich damals engagiert habe, so).
Manchmal frage ich mich, ob wir in der Neustadt auch so diskutiert hätten, wenn wir so ein Gebäude hätten. Ich möchte ja hoffen, dass man in der Neustadt nicht mehrheitlich auf die Wiederherstellung eines Status quo ante gehofft, sondern sich überlegt hätte, wie man aus dem Kasten ein geiles Stadtteilzentrum machen kann, aber vielleicht (?) idealisiere ich da auch wieder zu sehr mein eigenes Wohngebiet. Jedenfalls glaube ich, dass in Pieschen lange der nostalgische den visionären Blick verhindert hat, und das zur Niederlage beigetragen hat. Nachdem der letzte Kassensturz jetzt zu Geldfunden geführt hat und die Stadtspitze davon das neue Bad bauen will, wird man gucken müssen, ob das eine zufriedenstellende Lösung für den gesamten Dresdner Nordwesten bringen wird…
Jetzt habe ich mich vielleicht ein wenig unbeliebter gemacht, als ich es ohnehin schon bin, indem ich gesagt habe, dass ich das Ziel der Bürgerinitiative „Endlich Wasser ins Sachsenbad“ nicht so recht zu teilen vermochte, auch wenn ich die Ablehnung der Verkaufsentscheidung teile. Aber ihre Beharrlichkeit nötigt mir Respekt ab, und es ist gut, wenn gerade die Kommunalpolitik nicht den Großkopferten überlassen wird. Leider bieten die Anliegen von Bürgerinitiativen oft auch den Hintergrund für das populistische Agieren dieser Großkopferten (was nicht die Schuld der Bürgerinitiativen, sondern einfach nur ein Problem ist!). Da ist das Anliegen, öffentliche Gelder in die touristische Erschließung des Fernsehturms zu versenken, das krassere Beispiel.
Ich glaube, dass ich das schreiben darf, weil das Gespräch nicht vertraulich war: Mir hat mal der Vorsitzende der Dresdner FDP, als ich noch selbst dem Kreisverband meiner Partei als Vorstandssprecher dienen durfte, gesagt, dass es in der FDP ja durchaus auch Wirtschaftsliberale gebe, die als solche die Fernsehturm-Geschichte ganz anders beurteilen als Holger Zastrow. Mittlerweile ist der Dresdner FDP-Vorsitzende Teil der Stadtratsfraktion, deren Vorsitzender Holger Zastrow ist, und jetzt bin ich in dem Dilemma, dass ich es grundsätzlich ja nicht schlecht finde, wenn die besagten Wirtschaftsliberalen in dieser Fraktion keine Mehrheit haben, dass ich das bezüglich der Fraktionsposition zum Fernsehturm aber bedauern muss.
Es ist aber auch so, dass Holger Zastrow zu jener Riege dominanter Einzelpersönlichkeiten gehört, die nicht nur die Dresdner Kommunalpolitik, sondern auch ihr Außenbild prägen. Das liegt auch an einem Lokaljournalismus, der sehr stark dazu neigt, Kommunalpolitik als Krawallgeschichten zu verkaufen und nüchterne Berichterstattung durch vermeintlich spannende Narrative zu ersetzen. Die Tendenzen verstärken sich gegenseitig: Die „Helden“ liefern die Geschichten, die Geschichtenerzähler machen die „Helden“. An dieser Stelle war übrigens tatsächlich nur die männliche Form zu verwenden.
Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung sind für den Politikbetrieb ambivalent. Zum einen verleiht ihnen das Bedürfnis, sich andauernd beweisen zu müssen, eine schier unermessliche Energie. Wenn Du so jemanden in den eigenen Reihen hast, hast Du eine*n Leistungsträger*in. Außerdem sind solche Menschen Charismatiker*innen, die es schaffen, eine unkritische Gefolgschaft zu gewinnen. Bei Kampagnen macht sich das immer gut. Zum anderen aber werden diese Menschen auf Dauer menschlich anstrengend. Spektakulär wird es, wenn sie aufeinandertreffen. Ich habe gehört, dass es Gemeinderäte gibt, in denen sich keine Mandatsträger gegenseitig anschreien. Das würden manche Dresdner Stadträte wohl als einen Mangel an Ernsthaftigkeit betrachten.
Wo wir gerade bei dominanten Männern waren: Ein paar Worte verliere ich dann doch noch zur neuen „Dissidenten“-Fraktion und will‘s dann für den Rest der Wahlperiode dabei belassen. Es finden sich jetzt zwei GRÜNE darin zusammen mit einem Stadtrat der PARTEI und einem Piraten. Die beiden letzteren hätten gerne schon 2019 eine Fraktion zusammen mit einer „Freien Bürgerin“, die später zur CDU-Fraktion gegangen ist, gebildet. Das Anliegen, die Mindestzahl für die Fraktionsstärke auf drei zu senken, um die Bildung einer Fraktion von „Unabhängigen“ zu ermöglichen, haben eben jene beiden GRÜNEN damals massiv vertreten. Ich habe auf diesem Blog meine davon abweichende Meinung kundgetan und betont, dass die „Unabhängigkeit“ sich allein darin begründen würde, dass ihre Parteien bzw. Wähler*innenvereinigung, die diese Personen zur Wahl aufgestellt hatten, zu schwach waren, um in Fraktionsstärke in den Stadtrat einzuziehen. Es war eben – und der eine Eintritt in die CDU-Fraktion bestätigte das – eine Illusion, zu glauben, dass sich dadurch eine grün-rot-rote Mehrheit hätte konstituieren lassen, die die Wahl nun mal einfach nicht ergeben hatte. Die glauben das aber wahrscheinlich heute noch.
Wie Legendenbildung funktioniert, kann man anhand von einer Erklärung zum Fraktionsaustritt nachvollziehen, in dem der Betreffende von „maßgeblichen Kräften“ in Partei und Fraktion unkt, die ihn „ausschalten“ (!) wollen. Er schreibt: „Die Partei hat mich sowohl 2014 als auch 2019 nur auf Listenplätze gewählt, die voraussichtlich nicht zur Wahl in den Stadtrat ausreichen würden.“ Nun ja, die Wahrheit ist, dass er 2014 gezielt auf dem letzten Platz der Neustadtliste kandidiert hat – die Partei hätte also keine Möglichkeit gehabt, ihn auf einen höheren Platz zu wählen. Und wenn hier „die Partei“ erwähnt wird, ist damit die Basis gemeint, die eine demokratische Listenaufstellung vorgenommen hat.
Jetzt hätte theoretisch die Bezeichnung „Unabhängige“ für die neue Fraktion zur Verfügung gestanden, aber vielleicht haben das ja jene beiden, die offiziell Grüne bleiben wollen, als unpassend empfunden (obwohl bei ihren Kollegen die Bindung an die PARTEI bzw. Piraten ja auch nie in Frage gestanden hat). Also musste es „Dissidenten“ heißen. Ich möchte hier nicht den Vorwurf erheben, dass dies ein Akt der Wichtigtuerei sei, der angesichts der wahren Bedeutung des Wortes „Dissident“ und historischer und aktueller Beispiele (man schaue sich beispielsweise nur an, was zur Zeit in Belarus geschieht) doch eher peinlich sei. Nein, das ist ja bei weitem nicht so schlimm wie Jana aus Kassel, die sich mal wie Sophie Scholl gefühlt haben will. Aber was uns die „Dissidenten“ mit der Selbstbezeichnung sagen wollen, darf man trotzdem fragen. Dissident*in sein heißt ja vor allem, von einer offiziellen Meinung abzuweichen – die Definitionen beziehen das auf a) Staaten, in denen eine bestimmte Ideologie verbindlich ist und b) Religionen. Um Religion geht es hier wahrscheinlich nicht (hoffe ich), also bliebe die Frage, was denn die Ideologie ist, der sich die „Dissidenten“ verweigern. Glaubt man den beiden grünen „Dissidenten“, so sind sie ja keine Häretiker, sondern höchstens Schismatiker (verflixt, jetzt bin ich doch noch in einer religiösen Begrifflichkeit gelandet!).
Mit zunehmendem Alter wird man entweder immer nerviger oder ungeduldiger gegenüber Nervbratzen. Mir hat die schon eine Weile zurückliegende Kündigung meines Abonnements einer Dresdner Lokalzeitung richtig gut getan! Ich habe gemerkt, dass es viel Interessanteres zu lesen gibt (naja, das habe ich allerdings schon immer geahnt, wenn ich ehrlich bin). Ob ich aber auch in der Lage bin, Interessanteres zu schreiben, muss sich noch erweisen. An dieser Stelle war‘s das jedenfalls erstmal mit der Kommunalpolitik.
Keinesfalls will ich damit propagieren, dass man sich aus der Dresdner Kommunalpolitik heraushalten sollte. Nein, sie muss den Alphamännchen entrissen werden, die dafür gesorgt haben, dass sie so ist, wie sie ist! Aber ich bin ein alter weißer Mann, und alte weiße Männer sind das Problem (zur Klärung würde ich übrigens als letztes Geburtsjahr der Generation alter weißer Männer das von André Schollbach vorschlagen). Ich meine auch solche Heinis wie die, die sich ausgegrenzt fühlten, als sich Frauen im Stadtrat für faire Umgangsformen ausgesprochen haben.
Die werden hoffentlich alle mal ersetzt.
Aber ich will mich mit denen nicht mehr befassen. Ich bin nämlich Teil des Problems, weil ich es leider auch nicht schaffen würde, auf Beleidigungen zu verzichten, wenn ich mich näher mit diesen Vollhonks, Nervbratzen und Gurkenhälsen befassen müsste.
Toxische Männlichkeit eben – man wird sie nie los, man kann sie nur bleiben lassen.
P.S.: Dass ich hier nicht mehr über Kommunalpolitik schreibe, heißt allerdings nicht, dass ich meine aktuelle Tätigkeit als Koordinator der neustadtGRÜNEN Regionalgruppe einschränke – im Gegenteil! Und jetzt haben wir vor allem eine Bundestagswahl vor uns, die es zu gewinnen gilt – unter anderem, indem Merle Spellerberg für die Neustadt in den Bundestag gewählt wird.