Als nächstes also die Landtagswahl.
Wieder macht sich die Sorge breit, dass es auf den Machtgewinn der AfD hinauslaufen könne. Die Kommunal- und Europawahlen wurden von manchen ja nur als so eine Art Vorlauf betrachtet. Da gibt es ja so manches zu analysieren, was vielleicht nicht in die üblichen Weltuntergangsprophezeiungen passt: Dresden ist nicht „gekippt“, man vergleiche mal die sachsenweiten absoluten Stimmenzahlen der AfD im Vergleich zur Bundestagswahl, und in der AfD-Erzählung „Erst fällt Görlitz, dann Sachsen, dann Deutschland“ fehlt schon mal der erste Dominostein. Nein, das heißt nicht alles rosig sehen, aber wir beschreiben die Gefahr falsch, wenn wir sie als „Schicksal“ beschreiben.
Kurz vor der Wahl sollte es meines Erachtens nicht mehr um Strategiedebatten, sondern um die Motivation von Wähler*innen gehen. Ich begrüße auf der inhaltlichen Ebene grundsätzlich Aufrufe, die auf eine Alternative zu einer schwarzblauen Regierung abzielen, auch wenn ich skeptisch hinsichtlich ihrer strategischen Wirkung bin. Für mich ist es klar, dass die wünschenswerte Option für Sachsen eine Koalition von GRÜNEN, Linkspartei und SPD wäre. Das ergibt sich aus den Schnittmengen (auf die weiter unten nochmal einzugehen sein wird). Den besten Beitrag, den ich meine dazu leisten zu können, ist es, für ein möglich gutes GRÜNES Ergebnis zu kämpfen. Und ich denke, dass Linksparteimitglieder und Sozialdemokrat*innen auch für „ihr“ gutes Ergebnis kämpfen sollten. Sollte sich daraus eine Mehrheit ergeben: Um so besser! Diese Methode könnte man nennen: „Getrennt marschieren, vereint schlagen.“
Das kann man aber auch anders sehen: Es gibt auch den Ansatz, dass GRÜNE, LINKE und SPD vor der Wahl GEMEINSAM als Alternative zu Schwarzblau auftreten müssen. Da die CDU die zurückliegenden 29 Jahre der sächsischen Realität zu verantworten hat und so die Grundlagen für die Erfolge der AfD gelegt hat, kann vielleicht nur die Hoffnung auf eine Regierung ohne sie für genügend Menschen eine Motivation darstellen, zur Wahl zu gehen und so auch das Ergebnis der AfD zu schmälern. Dem steht allerdings die Feststellung entgegen, dass bei den Wahlergebnissen die drei progressiven Parteien zusammen immer deutlich unter 40 Prozent blieben. Sollten wir es aktuell tatsächlich mit einem „Rechtsruck“ zu tun haben, bliebe die Frage, wieso man ausgerechnet jetzt auf eine progressive Mehrheit hoffen soll.
Die Forderung, dass GRÜNE, LINKE und SPD eine gemeinsame Plattform bilden sollen, läuft auf die Forderung nach einem Lagerwahlkampf hinaus. Ich halte das ausdrücklich nicht für eine inhaltliche, sondern für eine strategische Frage. Das Problem: Sollte die Strategie falsch sein, könnte das dazu führen, dass eintritt, was man verhindern wollte. Das Ziel ist die Stimmenmaximierung der progressiven Parteien (die eine Chance haben, die 5-Prozent-Hürde zu nehmen). Ob sie sich zum „Lager“ erklären sollen, oder ob sie JEWEILS ihre Potenziale ausbauen, ist die strategische Frage. „Entscheidend ist, was hinten rauskommt“, soll Helmut Kohl gesagt haben.
Leider kann ich nicht so recht erkennen, dass die Ausrufung eines „Lagers“ in Sachsen auch zu einem solchen führen würde. Vielmehr erblühen anhand der Lagerdebatte Eitelkeiten, die zu nichts Sinnvollem führen können. Kaum erschallt der Ruf nach dem Lager, erhebt die Linkspartei für dieses einen „Führungsanspruch“ (mit genau diesem Wort anlässlich des letzten Parteitags). Und dann geht das Spiel los, wer denn wirklich für R2G steht und wer nicht. Das ist so wie die bekannten „linken“ Wettbewerbe, wer die/der beste Antifaschist/in oder wer am meisten für den Frieden ist. Ich weiß nicht, wen von den Außenstehenden, die man ja gewinnen muss, das motivieren soll, eine andere Mehrheit zu wählen. Es ist ein bisschen anstrengend und auch ein bisschen langweilig. Manchmal habe ich dann schon das Gefühl, dass die Gefahr für manche wohl noch nicht groß genug ist.
Ich weiß nicht, wie LINKE und SPD ihre Wähler*innenpotenziale vergrößern bzw. ausschöpfen können – ich weiß nur, dass sie es tun müssen, damit wir eine progressive Mehrheit in Sachsen bekommen (jetzt habe ich fast „andere Mehrheit“ geschrieben, aber das erinnert mich zu sehr an #dasanderesachsen, was mir eher für ein Selbstbewusstsein als stolze Minderheit zu stehen scheint: Es gibt Sachsen und eben ein „anderes“ Sachsen….). Das GRÜNEN-Bashing, das ich teilweise aus diesen Parteien nach der Europa- und Kommunalwahl erlebe, scheint mir dafür zu sprechen, dass sie ihr Potenzial für exakt dasselbe halten, das wir als GRÜNE ansprechen können. Wenn das stimmt, wird die Sache hinsichtlich der Mehrheitsfrage zum Nullsummenspiel: Es geht dann nur darum, wer innerhalb des „Lagers“ gewinnt oder verliert, aber das Lager selbst wird nicht größer. Wenn die Appelle an die Geschlossenheit nur Spielzüge innerhalb dieses Nullsummenspiels sind, nützen sie nichts.
Man könnte ehrlich sagen, dass es Potenziale gibt, die wir eben NICHT teilen. Wenn es z. B. ehemalige CDU-Wähler*innen gibt, die den Rechtskurs der Sächsischen Union nicht mittragen wollen, dann sind die GRÜNEN für sie womöglich ein Angebot. Ich habe den Eindruck, dass man Ähnliches bei der bayerischen Landtagswahl beobachten konnte. Jetzt mokieren sich viele Linke über die Kretschmanns bei den GRÜNEN. Immer gerne! Aber wenn man es für nicht gangbar hält, Konservative von der CDU abzuwerben, muss man mal erklären, wie man denn sonst neue Mehrheiten gewinnen will. Ich denke, dass es auch Wählerschichten gibt, die für die Linkspartei erreichbar sind, die wir als GRÜNE nicht erreichen könnten. Das kann aber auch dazu führen, dass in der Linkspartei Positionen diskutiert werden müssen, die ich für unmöglich halte, aber dass beispielsweise die Zurückdrängung des (notgedrungen) nationalstaatlich organisierten Sozialstaates als letztes real existierendes Bollwerk gegen den Neoliberalismus bei der LINKEN zu anderen Antworten als bei den GRÜNEN führen kann, muss ich als Möglichkeit erst einmal anerkennen, auch wenn ich vermute, dass die Antworten der LINKEN die falscheren sein werden (aber da bin ich ja zugegebenermaßen parteilich).
Ich möchte diese Argumentation auch nicht einfach als Warnung verstanden wissen, dass das Vergraulen konservativer Wechselwähler*innen dazu führen kann, dass am Ende keine R2G-Mehrheit zustande kommt, denn eines steht ja auch fest: Wer von der CDU enttäuscht ist und sie NICHT MEHR wählt, will sie ja vielleicht nicht unbedingt schon wieder an der Macht sehen. Aber für richtig falsch halte ich es, von einer „Repräsentationslücke von links“ zu sprechen, die einfach nur geschlossen werden müsse. Das ist schon ziemlich atemberaubend: Da wird der Begriff, mit dem Werner J. Patzelt das Aufkommen von Pegida und die Erfolge der AfD nicht nur erklärt, sondern auch legitimiert, einfach mal so übernommen und auf links gedreht. Das erste Problem ist, dass das Patzeltsche Theorem schon mal an sich falsch ist – ausgerechnet die sächsische CDU war und ist ja der rechteste Landesverband dieser Partei (und das ist eher eine Ursache des Problems, das sie jetzt hat). Das zweite Problem ist, dass völlig unklar bleibt, was diese Übertragung bedeuten soll: Wäre die geforderte „Basisbewegung“ ein „linkes Pegida“ (was genau sollte das dann sein, und wer wäre das Pendant zu Lutz Bachmann?)? Braucht es eine vierte „linke“ Partei, die sich über die Kritik definiert, dass die anderen Parteien nicht einheitlich genug auftreten – also eine weitere Aufsplitterung des progressiven „Lagers“ mit dem Ziel seiner Vereinigung? Das führt offensichtlich alles zu nichts, weil der Ausgangspunkt der falsche ist.
Wenn ich dergleichen nicht unterschreibe, heißt das nicht, dass ich mir eine neue Mehrheit nicht wünschen würde. Umfragen werde ich in den kommenden Wochen nicht kommentieren – manche haben ja eine bemerkenswerte intellektuelle Flexibilität, mit der sie aus JEDER Umfrage (egal wie seriös sie ist) ihre feststehenden Thesen untermauert sehen. Das finde ich uninteressant. Ich weiß auch nicht, wie hypothetische Vier-Parteien-Koalitionen funktionieren sollen, vielmehr habe ich den Verdacht, dass wir uns noch gar nicht vorstellen können, was das Ergebnis dieser Wahl sein wird – dass es eine stabile Mehrheit geben wird, die eine ganze Wahlperiode halten wird, kann ich mir nicht vorstellen, aber ich habe vielleicht auch nicht genug Phantasie.
Ich wünsche mir R2G, weil die Ablösung der Dauerregierungspartei CDU die wesentliche Voraussetzung für eine Normalisierung der demokratischen Kultur in Sachsen ist. In der Opposition könnte die CDU sich zu einer normalen konservativen Partei entwickeln, die sich nicht primär über den Machtinhalt definiert. Das könnte zu einer Bereicherung der politischen Landschaft im Freistaat führen, zumindest halte ich als Nichtkonservativer das für eine hypothetische Möglichkeit. Eine Mehrheit jenseits der bzw. ohne CDU halte ich aber nur für möglich, indem die progressiven Parteien ihre Potenziale jeweils optimal ausreizen, und das halte ich nicht für möglich, wenn ein Lagerwahlkampf geführt wird. Die Möglichkeit einer Koalition ergäbe sich dann aus den inhaltlichen Schnittmengen, die offenkundig sind und die wir nicht in einer Art Sondierungsverhandlungen vor der Wahl ausarbeiten müssen (Leute, wir sind jetzt alle mit Wahlkampf beschäftigt!). Ich kann spontan ganz unsortiert die folgenden Schnittmengen nennen (OHNE Anspruch auf Vollständigkeit):
Ein längeres gemeinsames Lernen durch die Einführung der Option der Gemeinschaftsschule.
Die Rückabwicklung des gerade erst beschlossenen Polizeigesetzes (wobei ich der SPD da noch ein wenig symbolischen Widerstand zugestehen würde – die haben ja echt so getan, als sei das PolG sinnvoll…).
Ein liberales Versammlungsrecht.
Ein Bildungsfreistellungsgesetz, das Weiterbildungsurlaub für Arbeitnehmer*innen ermöglicht.
Ein Vergabegesetz, in dem Tariftreue, soziale und ökologische Aspekte bzw. Aspekte der Nachhaltigkeit und des fairen Handels zu Vergabekriterien festgeschrieben werden.
Eine aktive Wohnungspolitik, die den sozialen Wohnungsbau in den Kommunen fördert und Mietpreisbremsen möglich macht.
Die Förderung von zivilgesellschaftlichen Initiativen zur Stärkung von Weltoffenheit und Demokratie – und zwar nach fachlichen Kriterien.
Die menschenwürdige Unterbringung geflüchteter Menschen und die entschiedene Förderung der Integration von Migrant*innen.
Eine konsequente Antidiskriminierungspolitik.
Der Einstieg in die Agrarwende durch dir Förderung des ökologischen Landbaus.
Ich hoffe, dass mit den beiden „roten“ Parteien Maßnahmen für den Naturschutz vereinbart werden können. Das alte schwarz-gelbe „Baum-ab-Gesetz“ zu kippen, sollte ja wohl kein Problem sein.
Die Energiewende – unstrittig dürfte die Förderung der erneuerbaren Energien sein. Allerdings weiß ich nicht, welchen Ausstiegspfad aus der Verstromung der Braunkohle wir mit SPD und LINKEN vereinbaren können. Gerade beim heißesten Thema vermute ich Unwilligkeit in den Reihen der SPD und bin mir über die Haltung der LINKEN nicht sicher, die mir in dieser Frage uneinig zu sein scheint, und deren regierende brandenburgische Genoss*innen ein schlechtes Vorbild abgeben. Von allen Aspekten ist dies derjenige, bei dem wirklich „Vorlauf“ fehlt: Die Unklarheit auf diesem Gebiet ist die größte Gefahr, denn wenn wir mit SPD und LINKER keine echte Klimaschutzpolitik erreichen können, fehlt wirklich eine entscheidende Voraussetzung für eine gemeinsame Regierungsbildung. Das wird man jetzt nicht mehr in Kürze klären können, und ich habe den Verdacht, dass sich das auch in den vergangenen Jahren nicht wirklich klären ließ. Es steht m. E. aber auch fest, dass wir in einer Koalitionskonstellation mit CDU und SPD oder gar mit CDU und FDP wohl kaum größere Aussichten auf einen zügigen Braunkohleausstieg hätten.
Prophezeiungen darüber, was nach dem 1. September geschehen wird, darf man mit Skepsis begegnen, denn die aktuelle Situation kennt kein Vorbild. Ob man wirklich bzw. wer automatisch mit der CDU koalieren muss, um eine AfD-Regierungsbeteiligung (oder gar AfD-geführte Regierung) zu verhindern, weiß ich nicht. Die noch nie dagewesene Situation führt vielleicht zu noch nie dagewesene Lösungen (und es kann sein, dass sich gerade die AfD-Wähler*innen über diese am meisten ärgern) oder besser: „Auswegen“ (Koalition, Tolerierung, Minderheitsregierung, Neuwahlen nach vier Monaten…). Ich traue es der Sachsen-CDU moralisch durchaus zu, dass sie zum Zwecke des Machterhalts mit der AfD koalieren würde, aber dass das für sie so einfach machbar wäre, bezweifle ich wiederum. Was die Kompetenz und die innerparteiliche Akzeptanz von Kompromissen aus strategischen Gründen angeht, hat die AfD nämlich noch lange nicht das Niveau der FPÖ erreicht, d. h. die AfD ist als Partnerin potenziell instabil, was gerade für die Machterhaltspartei CDU sehr, sehr heikel ist. Und der Druck der Bundespartei (bzw. der westdeutschen Landesverbände) wird extrem hoch sein – denn die Folgen einer schwarz-blauen Koalition für die Gesamtpartei, die davon lebt, sich als „christlich“(!)-„demokratische“(!) Kraft der „Mitte“(!) zu präsentieren, wären voraussichtlich verheerend. Und wenn die CDU in Baden-Württemberg (Vorsicht, Kretschmann!) oder NRW um ihren Status fürchten müsste, würde so einiges im Bund neu verhandelt werden – mit Sicherheit nicht zugunsten Sachsens.
Aber man weiß es nicht! Besser wäre natürlich eine progressive Mehrheit, die nur kommen wird, wenn genügend Menschen für GRÜNE, SPD und LINKE stimmen (und diese Position unterscheidet sich von „taktischen“ Ratschlägen). Für eine zarte Hoffnung besteht Anlass, wenn die (sonst bei Landtagswahlen ja wirklich niedrige) Wahlbeteiligung aus dieser Richtung erhöht wird. Werbt dafür und geht wählen! Darum muss es jetzt gehen, nicht um Geplänkel.